Kanal mit booten suzhou

Suzhou und sein Traum von Venedigs Kanälen

24.9.2019

Venedig des … nennen sich viele Städte gerne – Suzhou rund 100 Kilometer westlich von Shanghai sieht sich ebenfalls in dieser Rolle. Um die quadratische Altstadt verläuft ein Kanal, der zum Teil zum Großen Kaiserkanal gehört, und überall in der Stadt findet man kleine Verbindungs- und Nebenkanäle. Neben ihnen und leise vor sich hin gammelnden Häusern sollen Touristen die alten Gärten besuchen und genießen. Derlei kann sogar Venedig nicht bieten.

Für den Weg von Kunming hatten wir uns eine kleine Herausforderung gebastelt: per Flugzeug nach Shanghai-Hongqiao und von dort mit dem Zug in 30 Minuten nach Suzhou. Der Bahnhof in Hongqiao ist direkt in den Flughafen integriert. Genügend Zeit zum Umsteigen war eingeplant, es hätte eigentlich™ ein Leichtes sein sollen. Wäre da nicht die chinesische „Air Traffic Control” gewesen, wegen der die Maschine erst anderthalb Stunden später in Kunming starten durfte. Der einheimische Sitznachbar meinte, das sei nur ein anderer Ausdruck für „Militär”, und das verursache ständig Verspätungen. Für die militärische Erklärung spricht, dass andere Maschinen losflogen, während wir warteten. Die Passagiere trugen es mit stoischer Ruhe, bis auf uns vermutlich.

Hongqiao Bahnhof
21 Bahnsteige, Massen von Menschen, aber nur relativ wenige Züge: der Bahnhof am Flughafen von Shanghai-Hongqiao.

Letztlich waren wir sogar fast eine Stunde vor Abfahrt am Bahnhof Hongqiao, da China Eastern großzügige Flugzeiten angibt und die Logistik auf dem Flughafen überaus flott funktionierte. Auch schön: Ausländer bekommen hier rote Bahnfahrkarten, Chinesen blaue. Die schieben sie samt Ausweis in einen Automaten, unsere roten müssen manuell am Behinderteneingang kontrolliert werden, weshalb wir immer als erste durch die Sperre und in den Zug kommen.

Augen auf bei der Bahnhofswahl

Bei aller Begeisterung für das chinesische Schnellzugwesen ein Wort der Warnung: Viele Städte haben mehrere Bahnhöfe, und anders als in Berlin halten die Züge nur an einem davon. Das recht mickrige Suzhou etwa verfügt über einen Nordbahnhof etwa 25 Kilometer vom Zentrum entfernt und einen mitten in der Stadt. Letzteren sollte man wählen, wenn irgend möglich. Hatten wir leider nicht getan, weshalb uns ein als Rennfahrer gescheiterter Taxifahrer nach 20 Minuten rasenden Herzens am Hotel ablieferte.

Buddha Fingers am Obststand, Flughafen Kunmin
Eine Obstsorte, die es nur am Flughafen in Kunming gab: Buddha-Finger. Soll magische Wirkung haben, wir wissen aber nicht welche.

Da man vor allem wegen der Gärten hierher fahren soll, machten wir uns gleich auf den Weg zu dem des „Bescheidenen Beamten”. Wie geschätzt eine Million andere Leute auch an diesem Samstag. Vorher hätten wir noch das lokale von I.M. Pei geplante Museum angucken wollen. Ging aber nicht, weil alle immerhin kostenlosen Zeitfenster-Tickets für den Tag schon weg waren. Bekommen kann man sie per WeChat, was wir aber nicht haben. Schließlich erbarmte sich die Dame im Ticket-Büro und buchte unseren Besuch online. Als Beleg fotografierte sie den QR-Code mit einem unserer Handys. Letztlich war er aber ganz überflüssig, denn der Sicherheitsmensch an der Sperre tippte dann nur die Passnummern ein. Den Beamten-Garten verlegten wir nach dieser Erfahrung gleich auf den Montag.

Was sind schon dreihundert Jahre unter Künstlern

Im Museum ging es zu wie im Louvre-Eingang desselben Architekten: laut. Im Louvre selbst verschwindet dann wenigstens der Lärm, aber der ist eben nicht komplett von Pei. Wir bekamen eine Art englische Führung, die uns in jeder Galerie einen Höhepunkt aus Jade-, Holz-, Textil-Kunst zeigte. Die Erklärungen waren besser als das, was die museumseigene Beschriftung zu bieten hatte, zumal die Dame gelegentlich Jahreszahlen fallen ließ. Chinesische Etiketten geben immer nur die Dynastie an, während der etwas geschaffen wurde. Da manche Dynastien ein paar hundert Jahre dauerten, hilft das nicht wirklich bei der zeitlichen Einordnung. Zumal manchmal zwei Clans gleichzeitig über verschiedene Teile des Landes herrschten. Die letzte jedenfalls war die Qing-Dynastie von 1636 bis 1911, dann kam die Republik.

Teezeremonie bei einer Pagode in Suzhou
Teezeremonie in einem Garten. Draußen regnete es, und Tee war den anderen Besuchern zu profan. So schlürften wir ihn in Ruhe, am Ende unter den Blicken zweier Mönche.

Falls jemand mal dort hinkommen sollte: Macht am Wochenende irgendwas anderes, geht nicht ins Museum und nicht in einen der bekannten Gärten. Es macht einfach wenig Spaß dort, weil es so voll ist, dass man kaum etwas in Ruhe sehen kann. Und Ruhe gibt es ohnehin nicht, wenn viele Chinesen sich gleichzeitig an einem Ort aufhalten. Das kennt man zwar auch von anderen Nationalitäten, aber die brauchen in der Regel mindestens zwei Leute zum Krach machen. Chinesen können das auch sehr schön ganz alleine. Männer etwa ziehen gerne lautstark den Inhalt ihrer Nase hoch, um ihn dann ebenso geräuschvoll aus dem Mund hinauszubefördern. Wunderschöne Folklore, das.

Völkerverständigendes Kino in der U-Bahn

Ein anderes probates Mittel gegen Stille ist das ubiquitäre Smartphone. Kann man zum Telefonieren benutzen und dabei reinbrüllen, als müsse man die Entfernung ohne Mobilfunk überbrücken. Kann man zum Musikhören oder Filmgucken benutzen, aber bitte nie, niemals mit Kopfhörer. Immerhin, der junge Mann gestern in der U-Bahn drehte den Ton leiser und kippte das Handy in meine Richtung, sodass ich drei Stationen lang seinen Englisch untertitelten Film mit gucken durfte. Dann mussten wir leider raus.

Singende Streitkräfte, Film in der U-Bahn von Suzhou
Glückliche Militärangehörige bringen singend ihre Zustimmung zu den Xi-Linping-Ideen zum Ausdruck. Die Darbietung läuft gleichzeitig in U-Bahnhöfen und -Zügen.

In der U-Bahn ist es selbst dann laut, wenn keine Fahrgäste Krach machen: Das besorgen zum einen die Ansagen zur Richtung des Zuges, der nächsten Station, allgemeinen Verhaltensregeln wie nicht rauchen und so. Zum anderen laufen auf Monitoren in den Waggons ständig Filmchen. Sonst ist das häufig Produktwerbung, im Moment zeigen sie aber ausschließlich aufbauendes Kulturprogramm. Entweder eröffnet Präsident Xi ein besonders fortschrittliches Irgendwas oder er erklärt den begierig lauschenden Massen die ihnen blühende blühende Zukunft. Oder gut aussehende Menschen in Militäruniform singen ein ergreifendes Lied mit einem vermutlich siegreichen Thema, während der Background-Chor mit Maschinengewehren herumfuchtelt. Oder Gruppen nicht ganz so gut aussehender Uniformierter (Huawei, Gesundheitswesen, sowas) wedeln synchron Muster mit chinesischen Fahnen, gucken ergriffen oder begeistert und singen auch dazu. Am 1. Oktober ist 70. Geburtstag der Volksrepublik, und der wird auf das Gründlichste vorbereitet.

Lotusteich im Garten des Bescheidenen Beamten, Altstadt von Suzhou
Der Lotusteich im Garten des Bescheidenen Beamten, nach der Blüte. Rechts ein Pavillon mit sicherlich bedeutungsschwerem Namen.

Montag also im Garten des Bescheidenen Beamten in Suzhou. Der ist in echt deutlich kleiner, als er auf dem Stadtplan wirkt. Weil das auch der Gründer wusste, hat er zwischen den Pavillons und Pagoden viele natürlich aussehende künstliche Felsen platziert, durch die sich Gänge, Pfade und Treppen so geschickt winden, dass man lange laufen kann, ohne wirklich vorwärtszukommen. Stattdessen trifft man immer wieder auf Stellen, die man gerade passiert nur, nur eben in anderer Richtung oder auf einer anderen Höhe. Langweilig dürfte dem Beamten wohl nicht geworden sein, und fit war er vermutlich auch.

Wenn man beim Gärtnern Berge sieht

„Garten” ist hier vor allem eine Inszenierung von Landschaft und Architektur, nicht von blühenden Pflanzen. Es gibt immer mindestens einen See samt Zickzack-Brücke, manchmal kleine Wasserläufe, die erwähnten künstlichen Felsen und Pavillons. Die tragen Namen wie „Blick auf die Berge”, obwohl weit und breit kein Berg zu sehen ist. Klarerweise muss der Pavillon so heißen, weil sein Erbauer an eine Gedichtzeile dachte, in der jemand „beim Pflanzen von Chrysanthemen an der östlichen Hecke die Berge erblickte”. Und nein, das ist nicht ausgedacht. Überall bietet sich die Gelegenheit, das bewegende Gedicht eines lange toten Dichters (-innen gab’s nicht, die mussten ihre Zeit am Herd verplempern) zu zitieren. Vermutlich verlieren diese Werke enorm in der Übersetzung, uns kamen sie jedenfalls reichlich überspannt vor. Und so richtig geht diese Verklärung des Feudalsystems nicht mit der kübelweise ausgeschütteten Propaganda über die Errungenschaften des Sozialismus zusammen.

Maria mit Kind, Seidenbild Stalin, Seidenstrickerei
Eine der großartigsten chinesischen Kunstformen ist die Seidenstickerei. Da sitzen Leute monate- oder jahrelang und fisseln kleine Fädchen auf Papier, um … tja, andere Kunst nachzubasteln. Dabei kommt dann sowas raus. Das Bild rechts ist wirklich kein Foto.

Direkt um die Ecke vom Beamtengarten beginnt eine Altstadt-Straße, die Suzhou als Fußgängerzone und authentisch anpreist. Das erste mag angehen, betrachtet man Fußgänger als Opfer, die sich von rücksichtslosen Mopedfahrern zur Seite hupen oder über den Haufen fahren lassen müssen. Authentisch könnte die Gasse mal gewesen sein, die Architektur ist es zum größten Teil noch. Aber zwischen Souvenirläden, Kalligrafiestudios, Grillbuden und hippen Teehäusern dürfte niemand mehr wohnen – hier ist nur noch inszeniertes China.

Gondeln auf einem Kanal in Suzhou
Gondeln auf einem Kanal, die Gondolieri singen sogar, allerdings keine italienischen Weisen. Fast wie in Venedig.

Je weiter weg, desto ruhiger wird es

Mopedfahrer in der Fußgängerzone von Suzhou Das sieht etwas weiter weg in der nordwestlichen Ecke von Suzhou anders aus: Dort gibt die Shanlang Lu nicht einmal vor, eine Fußgängerzone zu sein, die Läden und Restaurants verkaufen noch Alltagsbedarf. Und kaum ist man sie ein paar hundert Meter entlang gegangen, spaziert man durch ein altes Wohngebiet, in dem immer noch alle Häuser bewohnt zu sein scheinen. Leider, denn die Gebäude sind eng, dunkel, und vermutlich haben sie weder Bäder noch Toiletten. Wie in den Pekinger Hutongs finden sich jedenfalls alle paar Ecken öffentliche Bedürfnisanstalten, wohl kaum wegen der paar Touristen, die sich hierher verirren.

Dieser mit der Entfernung abschwellende Tourismus ist eine der wenigen echten Gemeinsamkeiten, die Suzhou mit Venedig hat: Auch dort muss man sich nur wenig vom Markusplatz und dem Canal Grande wegbewegen, um seine Ruhe zu haben und Venedig zu sehen. Allerdings, das hat die chinesische Schwester noch nicht kapiert: In Venedig gurken keine Mopedfahrer durch die Gegend und nerven Fußgänger.

Suzhou Fisch
Eine kulinarische Spezialität von Suzhou soll dieser Fisch sein. Eigentlich eine Fisch-Skulptur, denn der Kopf ist nur lose hingelegt und das meiste Fleisch auch nur locker hindrapiert. Das rote ist süße Chili-Soße.

Boote (dieselbetriebene) gibt es hier auch. Wir fragten in der Tourismusinfo nach einer Haltestelle, was die gelangweilte Dame fast in den Nervenzusammenbruch stürzte. Schließlich fummelte sie den englisch- und den chinesischsprachigen Stadtplan heraus, fand auf dem einen die Haltestellen und versuchte verzweifelt, sie auf dem anderen zu lokalisieren. Ein Trauerspiel von Touristenbetreuung, das man aus manchen Ecken Griechenlands kennt und in China regelmäßig erlebt. Kaum waren wir aus dem Büro wieder raus, kamen wir am direkt angrenzenden Bootsanleger vorbei. Offenbar darf man als Touristenberaterin nicht nur keine Fremdsprache kennen, man darf auch nicht über die eigene Stadt Bescheid wissen.

Großeltern mit spielenden Kindern
In den abgelegenen Gärten haben sowohl Einheimische als auch Touristen ihre Ruhe. Kinder lernen laufen und spielen, und die Älteren machen Gymnastik oder Klönschnack.

Mann bei Gymnastik im Park Richtig schön wurde es dann aber doch noch in Suzhou. Denn gleich neben unserem Hotel lag auch ein Garten. Zu klein und abgelegen für große Gruppen mit wenig Zeit, deshalb war es dort leer und entspannend.

Großeltern führten ihre Enkel aus und zeigten ihnen die komischen Fremden, alte Leute ohne Kinder machten Gymnastik oder saßen einfach nur in der Sonne. Und in der südwestlichsten Ecke von Suzhou spazierten wir heute durch den Park „Pan Men“. Dort steht noch ein Stück (restaurierte) Stadtmauer mit einem Wasser- und einem Landtor. Das erste riegelte den Kanal ab, so ähnlich wie der Oberbaum in Berlin. Weil der Park so weit weg liegt von allem, ist er nicht völlig überlaufen. Mit sorgsam hindrapierten Felsformationen wartete er nicht auf, dafür mit viel Platz und Grün, wenigen Pagoden und Pavillons und sogar ein paar Imbissbuden. An einer bekamen wir unser Mittagessen: Von Hand aufgebrühte Instantnudeln im Pappeimer. Hmmm.

Stadtmauer von Suzhou in Pan Men
Ein bisschen Stadtmauer ist im Südwesten von Suzhou noch übrig, oder sie wurde wieder aufgebaut.

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