Blick von franziskaner kloster auf berge

Futuristische Männchen und eine weiße Stadt

19.9.2022

Limas wegen dürfte wohl kaum ein Tourist nach Peru fahren – Besucher wollen hauptsächlich Präkolumbisches sehen. Davon gäbe es hier einiges, das meiste jedoch liegt nördlich der Hauptstadt. Die „Nazca-Linien“ immerhin finden sich südlich von Lima. Das sind riesige Zeichnungen, die sich größtenteils nur von oben ganz erkennen lassen, ähnlich wie die europäischen „Kornkreise“.

Zeichnungen menschlicher Figuren bei Nazca
Diese menschlichen Figuren bei Nazca lassen sich auch vom Boden aus leicht erkennen. Nur das Fotografieren im Gegenlicht ist etwas mühsam.

Die Bilder liegen in der Nähe der Stadt Nazca, und sie befinden sich auf, neben und zwischen langen Linien – daher der Name. Entstanden sind diese Werke zwischen 200 vor und 600 unserer Zeit. Wissenschaftler:innen gehen heute davon aus, dass sie kultischen Zwecken dienten. Welchen genau, ist unklar. Denn ihre Produzenten hatten keine Schrift und hinterließen deshalb keine weiteren Aufzeichnungen. So darf sich jede:r überlegen, was die Männchen (oder Weibchen?) mit Antenne bedeuten könnten oder warum jemand vor hunderten von Jahren einen stilisierten Baum in den Wüstenboden ritzte.

Zeichnung eines stilisierten Baums bei Nazca.
Bei Nazca ritzte jemand unter anderem diesen stilisierten Baum in den Wüstenboden – zur besseren Sichtbarkeit hier stark bearbeitet.

An der Erforschung der Linien beteiligte sich auch die deutsche Mathematikerin und Physikerin Maria Reiche. Sie war ursprünglich als Lehrerin für die Kinder des deutschen Konsuls in Cuzco ins Land gekommen. Die Linien und Zeichnungen hielt sie dann wohl für interessanter, sodass sie sich nur noch mit ihnen befasste. Ihr Wohnhaus beherbergt jetzt ein Museum, das wir aber nicht zu sehen bekamen.

Wo sich alle Touristen zum Essen treffen

Außer den nach ihr benannten Linien hat die Stadt Nazca augenscheinlich nichts zu bieten. Touristen drängen sich in den ein, zwei von ihren Führer:innen empfohlenen Restaurants und schlafen im gänzlich überteuerten Casandina, das eine Art umgekehrte Lärmdämmung offeriert: Die Zimmer sind um einen Innenhof herum angeordnet, und ihre Fenster und Türen gehen dorthin. Dadurch kommt man vom Erdgeschoss bis in die letzte Etage in den Genuss sämtlicher Klingeltöne, Gespräche, Frühstücksvorbereitungen und anderer Geräuschabsonderungen im Hof.

Getrockneter Lama-Fötus auf dem Markt in Arequipa
Auf dem Markt in Arequipa findet man nicht nur exotische Früchte, sondern auch lokale Spezialitäten wie getrocknete Lama-Föten, die angeblich Glück bringen.

Ähnlich genial gebaut war das Hotel derselben Kette in unserer nächsten Station Arequipa. Die noch mal mickrigeren, unbeheizbaren Zimmer (bei höchstens 10° nachts!) verstärkten den Wunsch von „dahin nie wieder“ ebenso wie die zur besten Frühstückszeit stattfindende Personalversammlung: Während die Gäste sich vor der Tür beim Warten auf einen Essensplatz stauten, saßen die Mitarbeitenden (na ja, in dem Moment eben nicht arbeitenden) entspannt an einem für sie reservierten 10er-Tisch. Zu unserer Unzufriedenheit beigetragen haben mag allerdings die rund 13-stündige Fahrt von Nazca nach Arequipa.

Immerhin, Arequipa bietet schönste Architektur aus der Kolonialzeit und späteren Jahren, oft verschnörkelt bis zum Anschlag. Dieser ältere Stil trägt den etwas unzeitgemäßen Namen „Mestizenbarock“, weil lokale Früchte, Tiere und Besonderheiten einen Großteil zu den Verzierungen beitragen. Möglich wurde der gestalterische Überschwang, da die Gebäude aus dem weichen und weißen Tuffstein bestehen.

Blick in die Fußgängerzone von Arequipa
Die Fußgängerzone von Arequipa endet am Hauptplatz, um den Arkadengänge führen.

Früher hieß es, dessen Farbe habe der Stadt den Beinamen „die Weiße“ eingetragen. Heutzutage vermutet man, er sei der europäischen Bevölkerungsmehrheit zu verdanken. Sie bauten dort Kloster und Kirchen, die zum Teil trotz Erdbeben noch stehen. Besonders besucht ist das Katalinenkloster: Eine Art südamerikanischer Beginenhof, in dem reiche Adlige ihre unverheirateten (oder unverheiratbaren) Töchter unterbrachten.

Haus in der Altstadt von Arequipa Die Damen waren zwar nominell Nonnen, lebten aber bequem mit mehreren Bediensteten pro Betschwester, die ihnen jede Arbeit abnahmen. Je nach Stellung in der Klosterhierarchie waren die Zimmer spartanisch bis luxuriös ausgestattet. An diesem entspannten Dasein änderte sich erst etwas in der „Reformation“ Mitte des 19. Jahrhunderts, was hier die Entmachtung des katholischen Klerus bezeichnet. In der einstündigen, heruntergeleierten Führung wird allerdings jedes Detail so häufig wiederholt, bis man sich woanders hin wünscht, beispielsweise in ein Schweigekloster.

Wegen der alten Architektur bekam die Stadt das Attribut Weltkulturerbe, und das zwingt die Lokalregierung heute, die Innenstadt möglichst unverändert zu erhalten. So findet man dort keine Hochhaussolitäre, keine gläsernen Fassaden und keine aus der Fluchtlinie herausspringenden Bauwerke. Das historische Ensemble bleibt intakt, was Touristen und vermutlich auch den Bewohner:innen gefällt.

Haus in Arequipa mit blauen Brüstungen
Auch post-koloniale Architektur wird in Arequipa gepflegt.

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