Blick auf lindos mit kirchturm

Genügend Zeit zum Quatschen

1.7.2021

Verglichen mit einer normalen Saison muss es in Rhodos zurzeit geradezu menschenleer sein. Die modernen Kreuzfahrer überrollen zwar jeden Vormittag die Stadt, nachdem sie ihre Schrankwand im Hafen geparkt haben. Aber am späten Nachmittag lässt die ihre Sirene dreimal heulen, und dann dieseln sie davon, die nächste griechische Insel „kennenzulernen“. Geld lassen sie höchstens in den Souvenirläden und vielleicht für ein paar Bier oder Cola im Restaurant. Essen gibt es ja auf dem Schiff, wozu also für ein Mittag- oder Abendessen im Insellokal bezahlen?

Kreuzfahrtschiff vor der Stadtmauer von Rhodos
Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine dieser Kisten in Rhodos anlegt und die modernen Kreuzritter in die Stadt spuckt.

Weil wenig los ist, oder vielleicht weil sie es ohnehin gerne tun, ratschen die Rhodosser:innen miteinander und mit den Besuchern, die wollen. Auch mit uns. Dabei erfuhren wir unter anderem, dass nicht nur die alten und neuen Kreuzfahrer Leute auf das Eiland spül(t)en: Ein „Afro-Grieche“ (seine Worte) mit somalischem Vater und griechischer Mutter pries auf der Promenade Tickets für sein Schnellboot nach Lindos und Symi an. Der Chef des „besten Fallafel-Restaurants auf Rhodos“ (seine Worte) kam in Ägypten zur Welt; der kurdische Teppichhändler in der Altstadt beschäftigt einen pakistanischen Flüchtling, der „wie ein Sohn“ (seine Worte) für ihn ist. Die eine Galleriebetreiberin hatte eine deutsche Mutter, eine andere war in Köln aufgewachsen, und auch die Lederwarenverkäuferin in der Altstadt hatte am Rhein gelebt. Beim Gürtelhersteller fiel das reichhaltige Vokabular auf – bei der Seefahrt erworben.

Blick aus dem Großmeisterpalast auf Kreuzfahrtschiff
Noch vom anderen Ende der Stadt aus kann man die schwimmenden Schrankwände aus dem Großmeisterpalast über die Mauern hinweg sehen.

Richtig aus dem Häuschen geriet der engagierte georgische Keramikverkäufer, weil wir in Georgien schon gereist waren. Die Kirchen dort seien ja so schön und abwechslungsreich. Da mochten wir aus Höflichkeit nicht widersprechen. Ach ja, das Heimweh… Nino Haratischwili, deren „Achtes Leben“ in Deutschland viel gelesen, kannte der junge Mann aber noch nicht. Einem Exil-Georgier in Griechenland eine auf Deutsch schreibende Landsfrau nahebringen, das hat schon was.

Aufreißer vor einem Restaurant Besonders weit rumgekommen sind einige der Aufreißer für die Restaurants. Sie stehen den ganzen Tag vor ihrem Geschäft und sprechen Vorbeigehende an, vorzugsweise in einer denen mutmaßlich verständlichen Sprache. Der auf dem Foto wünschte uns denn auch gleich „bon soir“ und pries sein Essen in den höchsten Tönen auf Französisch an. Gefragt, wie er uns als Franzosen identifiziert habe, berief er sich auf seine Erfahrung. Dass die wohl nicht allzu verlässlich ist, ließ ihn nicht verzagen: Schließlich spreche ja einer von uns Französisch. Er hatte die Sprache in Belgien gelernt. „Maria“ vom „Lipsi Island“, die jedem Passanten als erstes ihren Namen verrät, ist wiederum mit einem Franzosen verheiratet und beherrscht die Sprache deshalb perfekt. Übrigens lassen einen die Aufreißer:innen meistens in Ruhe, wenn sie es das dritte Mal erfolglos versucht haben.

Viele finden dieses Angequatschtwerden vor Restaurants und Läden sicherlich lästig, wie auch wir häufig. Andererseits liegt gerade eine Durststrecke von 15 Monaten hinter den Geschäften. Und eigentlich ist es doch ok, wenn man von seinem Angebot überzeugt ist und es anpreist. Ein Restaurant auf Rhodos hat eben nicht den Werbeetat von Coca Cola, das muss anders arbeiten. Für Nordeuropäer wirkt das wohl häufig aufdringlich und verunsichernd. Geht man einfach weiter, passiert nach unserer Erfahrung gar nichts.

Stammgäste sind sicher und beliebt

Wer schon einmal im einem Lokal essen war, ist ohnehin fein raus. Als „Stammgäste“ werden sie auf der Straße lauthals oder wenigstens per Winken begrüßt, und ihnen bleibt der Vortrag über das großartige Essen dort erspart. Als Monsieur „Erfahrung“ uns auf seinem Moped begegnete, erkundigte er sich freundlichst nach unserem Befinden. Und die Chefin des „Romios“ lud uns erst dort zu ihrer eigenen Wassermelone ein und bot uns am folgenden Tag aus dem Auto heraus an, uns zum 150 Meter entfernten Apartment zu fahren. Charme und Fluch der Kleinstadt.

Akropolis von Lindos Richtung Meer
Die Akropolis von Lindos liegt oben auf dem Berg und sieht aus wie andere Akropolen.

Nach einer Woche füßiger Erkundung der Stadt nahmen wir den Leihwagen Richtung Lindos. Das ist so ziemlich das highste der Highlights hier, quasi der Mont St. Michel oder die Drosselgasse von Rhodos. Dank Vorsaison und Hitze hielt sich der Auflauf in Grenzen, und man konnte sich unzerquetscht zur Akropolis hocharbeiten. Dort stehen Säulen und so, weitgehend ruinös, aber die Aussicht lohnt sich. Der Ort zeichnet sich vor allem durch weiße Häuser aus, deren Türen mit aufwendigen Rahmen aus Stein versehen sind.

Nach Lindos besser mit dem Auto

Wer sich das mal angucken will, sollte das Auto nehmen. Busse sind häufig überfüllt, und die Schiffe von Rhodos-Stadt eignen sich eher für junge Menschen: Eine Stunde nach Lindos, drei Stunden dort, dann zurück mit zwei Badeaufenthalten à 30 Minuten. Letztlich ist man genauso lange auf dem Schiff wie am Zielort, wie bei einer richtigen Kreuzfahrt. Und der Spaß kostet mehr als ein Tag Leihwagen.

Blick nach Norden auf Rhodos
Guckt man in der Gegend von Lindos auf die Insel, wirkt die Landschaft braun und öde.

Unterhaltsamer als der Besuch von Lindos war der im Art Park am nächsten Tag. Der liegt ziemlich genau südlich von Rhodos in der Mitte der Insel zwischen Eleoussa und Archipoli. Ein bisschen im Nirgendwo, und keine Chance, da mit dem Bus hinzukommen – der fährt gegen 14 Uhr in Rhodos ab und morgens gegen 7 in Eleoussa. Also auch hier: Leihwagen. Für jeweils vier Wochen beherbergt der Park einen Künstler oder eine Künstlerin. Kost und Logis sind frei, die Anreise müssen sie selbst organisieren.

Ausstellungshäuschen im Art Park Rhodos
In den kleinen Häuschen stellen die Künstler ihre Werke im Art Park Rhodos aus.

Zurzeit war Eva da, die kleinformatig zeichnet. Ihre Kunstwerke hingen in sechs oder sieben Gebäuden, die wie Buswartehäuschen aussehen. Man kann herumgehen, sich alles alleine angucken oder erklären lassen. Anschließend quatschten wir noch lange mit Eva und Damon, dem Initiator und Eigentümer des Parks.

Künstler betreuen und Bildhauerei als Hobby

Er ist Klassik-Musiker von Beruf und betreibt Bildhauerei als Hobby. Auch ziemlich gute Sachen, aber etwas unhandlich für Flugreisende. Der Art Park war wohl ein Jugendtraum von ihm. Und die Unterstützung junger Künstler:innen ist für seine Frau und ihn eine Art Alternative zu eigenen Kindern. Beim Erzählen von den jungen Leuten aus der ganzen Welt quoll ihm die Begeisterung aus jeder Pore. Uns hat’s auch viel Spaß gemacht, zumal wir befürchtet hatten, bei einer mittelmäßigen Verkaufsstation lokaler Handwerkskunst zu landen.

Eva hatte drei Jahre lang ein Kunstfestival im Rodini-Park von Rhodos-Stadt organisiert. Wegen Corona fiel das 2020 aus, und jetzt will sie erst mal pausieren. Schade, denn der Park könnte etwas mehr Aufmerksamkeit gut gebrauchen.

Haus mit Arkaden in Eleoussa
Von außen sehen die Gebäude in Eleoussa noch einigermaßen intakt aus…

Arkaden in Eleoussas In der Nähe des Art Park liegt Eleoussa, das die Italiener 1935/36 als „Campochiaro" (helles Feld) bauten. Ursprünglich wohnten dort italienische Waldarbeiter aus dem Trentino und Alto Adige. Um den zentralen Platz standen drei Verwaltungsgebäude samt Kino, Apotheke und „Haus des Faschismus“. An der vierten Seite befindet sich die katholische Kirche. Die Wohngebäude waren drumherum in der Landschaft verteilt. Nach der Wiedervereinigung Rhodos’ mit Griechenland 1947 dienten die Gebäude als Tuberkulose-Sanatorium und Schule. Letzter Nutzer war bis 2000 die griechische Armee. Seitdem stehen die Gebäude leer und verrotten malerisch. Wer mehr darüber wissen möchte: Eine Gruppe internationaler Architekten hat eine Mini-Webseite auf Englisch dazu gebaut.

Raum in einem Haus in Eleoussa
… innen hingegen sieht man den Räumen die über 20 Jahre Leerstand an.

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