Lima plaza mayor

Limas Blumen und ihr Dünger

13.9.2022

Nur 12 Grad südlich vom Äquator kann der Winter überraschend unangenehm sein: Lima liegt in und unter einer Dunstglocke, die Tagestemperatur steigt nicht über 18 Grad. Angeblich ist das ungewöhnlich frisch, jedenfalls glaubt der Hotelbetreiber, auf eine Heizung verzichten zu können. Zwar lässt sich seine Klimaanlage auf 22 Grad einstellen, das aber gilt offenbar nur bei äußerer Hitze. Zum Heizen lässt sich das Ding nicht benutzen.

Aber auch überall sonst scheint man keine Heizung zu brauchen, noch bei 15 Grad sitzen die Menschen in Restaurants und Bars draußen. Von denen gibt es im Mittelstandsviertel Miraflores („Schau die Blumen an“) genügend, genauso wie Grünanlagen und Hinweisschilder, was man im Stadtteil tun und lassen soll. Verglichen mit dem Zentrum Limas gilt Miraflores als hübsch. Das heißt aber nicht, dass so etwas wie Stadtplanung im herkömmlichen Sinne stattfände. Jede und jeder darf bauen, was und wie es ihm gefällt. So stehen fünfstöckige fensterlose Kaufhauskästen direkt neben Einfamilienhäusern aus dem Ende des 19. Jahrhunderts.

Schräg gegenüber vom Hotel stolperten wir direkt in das Kulturzentrum von Miraflores. Dort lief gerade eine Ausstellung zur Archäologie der Zukunft: Menschen in Schutzanzügen stolpern durch überwucherte McDonalds- und H&M-Filialen. Eine schöne Überraschung am Sonntagmorgen, leider ohne Besucher.

Gemälde “Arqueologia del futuro”
In der Zukunft stolpern Archäologen in Schutzanzügen durch die verdschungelten Innenstädte.

Dafür standen die dann ein paar hundert Meter weiter nördlich vor dem Zaun des Huaca Pucllana. Aus der Ferne sieht diese alte Kultstätte aus wie ein Schutthaufen. Erst wer davor steht, erkennt Tausende senkrecht stehende Lehmziegel, aus denen die alten Limeños den Tempel bauten. Weil sie an Bände einer Bibliothek erinnert, nennt man diese Bauweise auch „Bücher“-Technik. Zwischen den Ziegeln ist immer eine kleine Lücke, was dem ganzen Bau mehr Flexibilität verlieh und verhinderte, dass er bei Erdbeben einstürzte. Dazu trägt auch bei, dass die einzelnen „Regale“ trapezförmig zusammengefügt sind und nach oben spitz zulaufen.

Lehmpyramide Huaca Pucllana
Huaca Pucllana: aus der Ferne scheinbar ein großer Schutthaufen.
Detail von Huaca Pucllana
Aus der Nähe eine komplizierte Struktur aus Lehmziegeln

Errichtet wurde Huaca Pucllana etwa im 6. Jahrhundert uZ. Dass es heute noch steht, ist nicht nur der erdbebenresistenten Bauweise zuzuschreiben – in Lima regnet es praktisch nie, sonst wären die ungebrannten Lehmziegel in den letzten 1500 Jahren in einem Schlammhaufen versunken. Tatsächlich ist Lima eine Oase in einer riesigen Wüste, die sich fast die gesamte peruanische Küste entlangzieht, gesprenkelt mit Oasen. Nichts mit Dschungel und tropischer Vegetation, fast alles ist grau und braun und graubraun. Das bemerkt man jedoch erst, wenn man Lima verlässt.

Denn innerhalb der Stadt, jedenfalls der wohlhabenden Viertel, begrünt man, was das Zeug hält. Und muss das Grün intensiv bewässern, damit es nicht zu Graubraun wird. Noch kommt aus den Andenflüssen genügend Wasser dafür, aber niemand weiß, wie lange das noch so sein wird. Zu diesen Grünflächen gehört der „Parque de Amor“ direkt an der Steilküste mit Blick übers Meer, in seiner Mitte zeigt eine Skulptur ein etwas klobiges, sich küssendes Paar. Anders als in Deutschland verfügen die Bezirke Limas über eigene Einnahmen aus Steuern und einen eigenen Haushalt, weshalb die Stadtteile eben je nach Bevölkerung unterschiedlich gut mit sozialen und kulturellen Einrichtungen sowie Grünflächen versorgt sind.

Skulptur von sich küssendem Heteropaar im Parque de Amor
Die beiden küssen sich im Parque de Amor in Miraflores.

So wie in Miraflores gibt es auch im Zentrum Limas augenscheinlich keine Regeln fürs Bauen, jedoch viel Leerstand: keine Läden, keine Restaurants in den Erdgeschossen. Grund soll sein, dass Wohlhabende in andere Bezirke abwanderten und jetzt die Kaufkraft fehlt, die städtisches Leben ermöglichen könnte. So sieht man dort zwar viele prunkvolle Gebäude, aber wenig Leben. Auch das altehrwürdige Hotel Bolívar, das schon Hemingway beherbergte und in dem wir eigentlich unterkommen wollten, ist (noch?) nicht in Betrieb.

Präkolombianisches Tongefäß mit geometrischem Muster. Gemälde: Peruanerin trägt ein Tongefäß, 20. Jahrhundert
Von der frühen präkolombianischen Zeit bis ins 20. Jahrhundert reicht die Sammlung des Kunstmuseums in Lima

Einer der Prachtbauten ist das Kunstmuseum Mali (Muséo de Arte Lima). Errichtet für eine Weltausstellung, präsentiert es heute einen Überblick der in Peru entstandenen Kunst – von den ersten Kulturen der Limeños über die Inka und die spanischen Eroberer bis ins 20. Jahrhundert. Noch sind nicht alle Räume fertig, aber die Schau vermittelt doch schon einen guten Eindruck von der Geschichte der lokalen bildenden Kunst.

Atahualpa ermorden, dann eine Messe für ihn lesen

Zu sehen bekommt man übrigens auch ein berühmtes Gemälde, das den Tod des letzten Inka-Herrschers Atahualpa zeigt. Wegen Vielweiberei, Brudermords (er hatte seinen um den Thron konkurrierenden Verwandten umbringen lassen) und Heidentums hatten ihn die spanischen Militärs und Priester zum Tode verurteilt und garottieren lassen. Was sie schon als Entgegenkommen betrachteten: Ursprünglich sollte Atahualpa auf dem Scheiterhaufen sterben. Deshalb konvertierte er noch schnell zum Christentum und wurde zur Belohnung erwürgt. Auf dem Gemälde ist der Häuptling auf seinem Totenbett zu sehen, während der Priester gerade seine Totenmesse liest.

Vogelschwarm über dem Meer, mit Bergen im Hintergrund
In der Bucht von Paracas halten sich große Vogelschwärme auf.

Von der riesigen Oase Lima ging es über die Panamericana gut 200 Kilometer nach Paracas im Süden. Der Ort hat so gar nichts Erwähnenswertes, ist aber trotzdem voller Restaurants, Hotels und Souvenirshops. Grund dafür und für die vielen Besucher:innen sind die „Islas Balestas“. Perus Fremdenverkehrsindustrie nennt sie auch „kleine Galapagosinseln“, aber das dürfte maßlos übertrieben sein. Es handelt sich um einige Inselchen, die von ihren fliegenden Bewohnern ausgiebig vollgekackt werden, sodass man alle fünf bis sieben Jahre Guano als Dünger abbauen und verkaufen kann.

Humboldt-Pinguine auf den Islas Balestas
Auch tropische Humboldt-Pinguine leben auf den Islas Balestas.

Auf dem halbstündigen Weg zu den Inseln passiert das Boot den „Kandelaber“, eine 70 Meter hohe und über 50 Meter breite Zeichnung im Felsen. Die Linien sind 70 Zentimeter tief, und niemand weiß, was es mit dem scheinbaren Kerzenleuchter auf sich hat.

Der Kandelaber: Eine riesige Geoglyphe, die aussieht wie ein Kerzenleuchter
Der Kandelaber sieht zwar aus wie eine überdimensionale Sandburg, ist aber 70 Zentimeter in den Felsen hineingegraben. Weshalb, und was er bedeutet, weiß man nicht.

Seelöwen räkeln sich auf der Bugnase eines Schiffs Danach fährt das Boot um die Inseln herum, bis jede und jeder an Bord die Tierwelt abgelichtet hat. Pelikane, Tölpel, Möwen, Kormorane mit schwarzen und roten Schnäbeln, Humboldt-Pinguine, Krabben und Seelöwen müssen aus allen erdenklichen Winkeln fotografiert werden.

Letztere allerdings kann man anderswo besser beobachten als auf den Islas Balestas: Sie sonnen sich auf Bojen oder räkeln sich auf der Bugnase eines Schiffs, das in der Bucht vor Anker liegt. Fast alle sind Weibchen mit ihren beinahe erwachsenen Jungen, die Männchen scheinen anderswo unterwegs zu sein.

Nach einer Stunde legt das Boot mit glücklichen Touristen und gefüllten Kameras wieder in Paracas an, wo alle später wieder die Knipsen rausholen, um den wie versprochen spektakulären Sonnenuntergang abzulichten.

Pelikane im Anflug auf die Islas Balestas
Pelikane im Anflug auf die Islas Balestas
Sonnenuntergang in der Bucht von Paracas
In der Buch von Paracas geht die Sonne besonders fototauglich unter.

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