Binsenboot an der insel

Schwimmende Binsen-Inseln und gebratener Reis

27.9.2022

Von Arequipa ging es in den Altiplano – Perus Hochebene auf mehr als 3000 Metern. Die Fahrt führte über einen Pass auf 4500 Metern nach Puno am Titicacasee, das nur noch 3800 Meter hoch liegt. Nicht allen bekam die ungewohnte Höhenluft, auch Wulf war ein paar Tage ausgeknockt. Falls übrigens mal jemand in dieser Region Elektrolyte benötigt: Das Zauberwort heißt „Electoral“. Der höchste Punkt auf der Fahrt von Arequipa nach Puno liegt 4500 Meter über dem Meer. Dafür bekommt man eine fertig angemischte, sofort trinkbare Flüssigkeit wesentlich günstiger als das deutsche „Elotrans“. Als Geschmacksrichtungen begegneten uns Anis und Erdbeere, vielleicht gibt es auch noch andere.

Puno hat außer einer großen Auswahl an Restaurants und seiner Lage am See nichts zu bieten. Aber gute Restaurants können ja auch schon eine Besonderheit sein. Und tatsächlich haben wir in Peru beim Essen keine Enttäuschungen erlebt, selbst in den Hotels gab es meist Leckeres. Bei der Temperatur folgen viele Kochende aber leider der griechischen Tradition: Fast nie kommt etwas wirklich heiß auf den Tisch, oft bestenfalls lauwarm. Beim Frühstück stehen Rührei, Pancakes und so weiter zwar in Wasserbädern bereit, aber da nichts die Wasserbäder warmhält…

Eines der peruanischen Nationalgerichte heißt „Ceviche“: weißer Fisch in Limettensaft mit Chili und Geröstetes Meerschweinchen am Spieß allerhand anderem mariniert, bis das Fischeiweiß denaturiert und quasi gar ist. Sehr lecker, allerdings wäre der als Beilage servierte geröstete Mais entbehrlich. Knirscht und knackt und schmeckt ganz viel nach nüscht. Eine andere lokale Spezialität ist „Causa“: Gekochte, zu festem Brei verarbeitete und zu einem flachen Zylinder geformte Kartoffeln, gefüllt mit Avocado, Fleisch oder Fisch; es gibt zig Varianten. Für die Fleischfans bietet sich „Lomo saltado“ an, gebratene Rindfleischstücke mit Tomaten und sehr, sehr vielen Zwiebeln.

Probieren kann man in den Anden zudem Cuy, vulgo Meerschweinchen. In der Literatur hieß es immer, sie würden in einer Lehmkruste gebraten, hier gab es sie nur gefüllt und am Spieß über offenem Feuer geröstet. Die Tiere dafür kommen nicht aus freier Wildbahn, sondern aus Meerschweinchenfarmen. Auf dem Spieß sehen sie aus wie etwas dickere und kürzere Kaninchen. Ihre Haut ist nach dem Rösten recht robust und der Geschmack des Fleischs zumindest gewöhnungsbedürftig. Kein Gericht, für das wir 10.000 Kilometer weit fahren würden.

Geröstetes, zerlegtes Meerschweinchen auf einem Teller
Um den Kopf des Meerschweinchens riss sich niemand. Der Rest war gewöhnungsbedürftig.

Und dann bietet sich noch „Chifa“ an, was über jedem chinesischen und manch einem vietnamesischen Restaurant steht. Zuerst dachten wir, das sei einfach eine Kette mit zahllosen Franchise-Nehmern. Tatsächlich ist das Wort aber die Verballhornung des Chinesischen „chī fàn“ (吃飯), was wörtlich „essen Reis“ heißt und einfach nur „essen“ bedeutet. Chifa steht für eine peruanisch beeinflusste chinesische Küche, die deutlich besser ist als die deutsch beeinflusste. Eine ähnliche Etymologie hat auch das in diesen peruanisch-chinesischen Lokalen verkaufte Gericht „Chaufa“, Reis mit Zwiebeln, Ei und Huhn. Im chinesischen Original war das „chǎo fàn“ (炒饭), „gebraten Reis“.

Mit der Säge gegen nervige Schwiegermütter

Zurück zum Titicacasee. Er ist 18-mal so groß wie der Bodensee, also riesig. Und, so heißt es in der peruanischen Tourismuswerbung, der am höchsten gelegene schiffbare See der Welt – daran gibt es aber Zweifel. Jedenfalls wächst dort die Binsenart Schoenoplectus californicus (Totora-Schilf), deren Wurzeln bis zu sieben Meter tief reichen. Daraus baut das auf dem See lebende Volk der Urus seine Siedlungen.

Totora-Schilf auf dem Titicacasee
Sieht aus wie Gras, ist aber eine Binsenart und fungiert auf dem Titicacasee als universelles Baumaterial für Inseln, Boote und Häuser.

Die errichten sie auf schwimmenden Binsen-Inseln. Dazu schneiden sie das Grüne über dem Wasser immer wieder ab, bis der verfilzte, etwa einen Meter dicke Wurzelballen nach oben treibt. Daraus sägen sich die Urus rechteckige Stücke zurecht, ziehen sie zum geplanten Inselplatz und verbinden sie dort mit Stöcken aus Eukalyptusholz und Schnüren zu einer zusammenhängenden Insel. Obendrauf kommen abgeschnittene Binsen als Fußboden, wieder etwa einen Meter dick. Beim Darüberlaufen knirscht, knackt und wackelt es folglich etwas.

Auf jeder Insel lebt eine Familie, in mit Binsen gedeckten Holzhütten. Als Zugeständnis an die Zivilisation steht vor jeder von ihnen ein kleines Solarpanel, das Strom für eine Glühbirne und zum Aufladen der Handys liefert. Damit das ganze Konstrukt nicht wegschwimmt, ist es am Boden des Sees mit mehreren Ankern befestigt. Die kann man bei Bedarf hochziehen, etwa wenn die Nachbarinsel zu viel Lärm produziert, und die ganze Ansiedlung an einen anderen Platz befördern.

Touristenunterkünfte auf schwimmender Insel, Titicacasee
Auf größeren Inseln haben die Urus Schulen und andere Gemeinschaftseinrichtungen sowie Unterkünfte für Touristen errichtet. Erkennbar sind diese Gebäude an den Solaranlagen, die warmes Wasser liefern.

Angeblich für Konflikte innerhalb einer Insel gibt es eine Säge: Damit lässt sie sich zerlegen, und die beiden Teile können ihrer Wege schwimmen. Das soll bei nervigen Schwiegermüttern helfen, die man derart auf die Reise schicken kann. Sowohl das als auch die ganze Geschichte mit der Säge könnten auch Seemannsgarn sein.

Aus Totora-Schilf bauen die Urus auch ihre traditionellen Boote, mit denen sie Touristen herumschippern. Früher bestanden sie wohl komplett aus den Binsen, heute stecken im Inneren leere Plastikflaschen, und das Grünzeug dient nur noch zur folkloristischen Verkleidung des Fahrzeugs. Für die Besucher treibt man die Boote mit Paddeln an, auf längeren Strecken schieben die Urus sie dann allerdings doch lieber per Motorboot. Was gelegentlich zu Kollisionen führt.

Zwei Binsenboote kollidieren auf dem Titicacasee
Schiebt man die Binsenboote per Motorboot statt sie mit Paddeln fortzubewegen, kann es schonmal zu Zusammenstößen kommen.

Ähnliche Beiträge