Pusteln und Idylle im Schatten der Burg
31.3.2023Zwei Stunden für 140 Kilometer – schnell fährt die Bahn wirklich nicht von Zagreb in die slowenische Hauptstadt Ljubljana. Zumal die Grenzer die Ankunft verzögern, indem sie alle Dunkelhäutigen aus dem Zug komplimentieren und wegführen. Nein, es gibt kein racial profiling in Europa, und nur zufällig fragte niemand uns nach den Pässen. In Kroatien schüttelte übrigens jeder den Kopf wegen unserer Fortbewegungsmethode. Zug fahre niemand dort, Busse seien viel schneller. Sie benötigen beispielsweise von Zagreb nach Rijeka an der Küste rund zwei Stunden. Die Bahn kommt im besten Fall nach der doppelten Zeit dort an.
Ljubljana ist noch etwas kleiner als Zagreb, mit ebenfalls perfekt sanierter Altstadt, fast komplett als Fußgängerzone ausgewiesen. Sie liegt links und rechts des Flusses Lubljanica, auf der südlichen Seite bewacht von einer Burg. Die maximal dreigeschossige Bebauung wirkt weniger monumental, das Ensemble macht eher einen kuscheligen als einen herrschaftlichen Eindruck. Cafés, Läden und Restaurants stehen dicht an dicht am Ufer und in den Seitenstraßen, selbst bei Regen und Kälte auch draußen stark frequentiert. Im Sommer dürfte es zugehen wie rund um den Hackeschen Markt, wir hatten also Glück.
Bevor es zu idyllisch wird, drängen sich die brutalistischen Bauten aus jugoslawisch-sozialistischer Zeit ins Bild – das Gegenteil von kuschelig. Links ein besonders beeindruckendes Beispiel für diese hohe Kunst des Brutalismus. Unten Beton, darüber ein Ziegelsteinexzess und als Krönung eine Art Sahnehaube mit Anklängen an Bahnhofshalle. Alles in allem könnte es das Ergebnis eines missglückten LSD-Experiments gewesen sein, hätte man diese Droge im Sozialismus bekommen.
Bei diesem Haus handelt es sich keineswegs um einen Ausrutscher – sein „Architekt” hat mehrere solcher Kästen in der Nachbarschaft verteilt, einige davon noch wesentlich größer. Alle sind an der gelblichen Ziegelfassade sowie den sinnfreien Vorsprüngen zu erkennen. Wenig weiter beranden zwei halb fertige Wolkenkratzer und ein Kaufhaus aus den 70er-Jahren den Platz der Republik („Trg republike”).
Diese Pusteln im Stadtbild brachen auf, nachdem der größte jemals gelebt haben werdende slowenische Architekt Jože Plečnik Anfang der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts dahingeschieden war. In Slowenien findet die Verehrung für ihn keine erkennbaren Grenzen – sogar sein Kaffeekonsum gibt Anlass zur Ehrfurcht. Jener überragende Meister der Säulen, Treppen, Fenstersimse, Säulen, Sichtachsen, Säulen und nochmals Säulen … lebte eine gewisse Faszination für die Antike aus. Schüler von Otto Wagner, öffnete ihm ein Italienaufenthalt die Augen für die einzig wahre Architektur, nämlich die Säulen der alten Römer und Griechen. Deshalb stehen hier jetzt überall solche phallischen Objekte herum, gerne auch mal völlig sinnlos. Das Treppenhaus seiner Uni-Bibliothek wirkt wie die Eingangshalle eines griechischen Tempels, und sogar in seinem Wohnhaus stehen sechs sinnlose Säulen.
Plečnik war ab Anfang der 1920er-Jahre knapp vierzig Jahre in Ljubljana tätig und prägte einen großen Teil der Stadt bis zu den Anfängen des Sozialismus – Tito ließ sich von ihm sogar einen Pavillon auf seiner Privatinsel Brioni hinstellen. Sieht selbstverständlich aus wie ein griechisches Teehäuschen.
Als sie durften, bauten dann alle anderen, die vorher nicht zum Zuge gekommen waren, was „Modernes”. Nicht unbedingt hübsch, sondern eben Hochhäuser und verhauene Ziegelsteinbunker, aber ohne die antiken Attribute wie Säulen und Kapitelle und Gesimse und Portiki. Glücklicherweise hatten Architekten auch schon vor Plečnik weniger altbackene Gebäude errichten lassen. So stößt man beim Herumspazieren immer wieder auf gut erhaltene Bauhaus- und Art-Deco-Bauten. Zu Plečniks Hochzeiten dürfte sein Einfluss solche Werke jedoch verhindert haben. So setzte er etwa seinen Entwurf der Uni-Bibliothek gegen den eines Konkurrenten durch. Jener wäre moderner, billiger und praktischer gewesen, weil für mehr Bücher geeignet: Plečnik hatte für 200.000 Bände geplant, was damals schon nicht ausreichte. Sein Konkurrent hätte das Fünffache untergebracht.
In einem der Gebäude vom Ende des 19. Jahrhunderts sind bis heute Oper und Ballett untergebracht, und deren Angebote kann man sich als Tourist immer anschauen, weil sie keine Sprachkenntnisse erfordern. Also ab zu Il Trovatore, auf Italienisch mit slowenischen und englischen Obertiteln. Super gesungen, aber was sie da auf der Bühne gemacht haben – da hätte es auch eine konzertante Aufführung getan. Over-acting wie im Stummfilm, der Graf sang ständig seinen hochgereckten Degen an (man möchte nicht über die Symbolik nachdenken), und aus dem Bühnenhintergrund schwadete die Nebelmaschine in den Raum. Kein Sinn, nirgends. Aber großartige Sänger:innen.
Aus denselben Gründen waren wir in Zagreb zu „Medusa“ im nationalen Tanzzentrum gegangen (in der Oper lief nix); versprochen wurde Tanz und ein wenig Text. Tatsächlich lasen drei Damen 30 Minuten lang abwechselnd schwer betroffen Kroatisches von ihren Handys ab. Es folgte eine Viertelstunde Konserventanz: Während auf einer Leinwand eine der Gelesenhabenden herumzappelte wie eine Stummfilmdiva auf Speed, sprach ihre Kollegin weiteres Bedeutungsschwangeres aus dem Off. Anschließend klatschten die anderen Zuschauer begeistert, und wir freuten uns über das frisch gelernte Kroatisch: „Jasam Medusa“. Falls es mal jemand braucht, vielleicht beim Friseur: „Ich bin Medusa“.
Muss ja nicht immer alles super sein. Immerhin arbeiten auch in Ljubljana prima Köche, zum Beispiel im „JB“. Auf der Burg findet sich sogar ein Sternerestaurant, aber das reagiert auf Reservierungsnachfragen normaler Sterblicher nicht. Das JB hingegen liegt im Bahnhofsviertel, ist riesengroß und produziert je drei Vor-, Haupt- und Nachspeisen. Wer kein Menü nimmt, darf den „Gruß aus der Küche“ extra bestellen und bekommt unter anderem einen hübsch drapierten Wurst- und Schinkenbaum. Alles sehr lecker, auch der Wein, den die Slowenen vermutlich lieber selbst trinken, als ihn zu exportieren. Wir fanden ihn kurz danach im Supermarkt; hoffentlich schmeckt er zu Hause auch noch.
Übrigens ist die Burg, die man von vielen Stellen der Altstadt sieht und mit einer Standseilbahn erreichen kann, eher wenig sehenswert. Das meiste haben die Slowenen neu gebaut, und es gibt nur wenig Interessantes anzugucken. Das multimediale Museum zur slowenischen Geschichte kämpft mit technischen Ausfällen, sodass vieles im Dunkeln bleibt. Zumindest gewährt der Turm der einen hübschen Blick bis zu den schneebedeckten Alpen.
Museen bietet die Altstadt jedoch in größerer und besserer Auswahl an als die Burg: Nationalgalerie, Moderne Kunst, Zeitgenössische Kunst jeweils in ihren eigenen Häusern. Bei der zeitgenössischen Kunst dominierten wieder Fluxus und ähnliches, wie in Österreich. Aber die jungen Aufsichtspersonen hatten im Überfluss Zeit und Lust, sich über das Bewachte zu unterhalten. Was viel Spaß machte.