Klassizistisches eckhaus

Habsburgisch herrschaftliche Häuser mit Hinterhöfen

18.3.2023

Eine Möglichkeit, sich jünger zu fühlen, sind ein paar Stents und eine gründliche Reha – vielleicht nicht jedermenschs Sache. Relativ preiswert und unter Vermeidung von Krankenhäusern bietet die Deutsche Bahn eine Verjüngungskur: Die Fahrt von Berlin nach Zagreb weckt spätestens in Österreich Erinnerungen an die Zeit der D-Züge, und ab der slowenischen Grenze verläuft die Reise so entschleunigt und dezent rumpelnd wie vor 1989 zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik.

Bahnhof Badgastein oder Bad Gastein in Österreich
„Gastein” gefiel den Österreichern so gut, dass sie damit gleich drei Orte benannten und an jedem davon den Eurocity halten lassen.

Der EC 213 von Frankfurt in die kroatische Hauptstadt windet sich durch die Alpen, dabei an mehr Bahnhöfen haltend als Pflaumenbäume dort wachsen könnten – alleine drei Varianten von Gastein steuert die ÖBB an, eine malerischer und bergiger als die nächste. Kurz vor Zagreb, an der slowenisch-kroatischen Grenze, wechselt man für die letzten 40 Kilometer die Lok. Das ausgetauschte Modell arbeitet noch ein bisschen behäbiger als sein Vorgänger, und so brauchten wir für das Stückchen fast eine Stunde. Immerhin schockierte der sich anschleichende Zug nicht den schreckhaften Zagreber Hauptbahnhof. So jedenfalls sind 14 Stunden Fahrzeit schneller vorbei als beim Fliegen: Kühe, Häuser und Bäume ziehen vorbei, niemand erklärt die Funktionsweise von Notausgängen und Sitzgurten, man muss sich nicht zwischen Pasta oder Chicken entscheiden.

Vorderansicht des Hauptbahnhofs von Zagreb, Glavni Kolodvor
Der Hauptbahnhof in Zagreb könnte auch ein Grandhotel in Baden-Baden sein. Innen ist er deutlich weniger schick, und die kroatische Eisenbahn kriecht mehr als sie fährt.

Bei der abendlichen Ankunft war noch kaum etwas von den aufgemotzten Gebäuden aus den letzten Jahren der Habsburger-Monarchie zu erahnen. An den nächsten Tagen bekamen wir davon dafür umso mehr mit. 1880 hatte ein Erdbeben größere Teile der Stadt pulverisiert. Danach begann der Wiederaufbau, unter anderem durch den deutschen Architekten Hermann Bollé – an den erinnert eine Plakette am Museum für Kunstgewerbe.

Bollé soll um die 160 Gebäude geplant haben, unter anderem einige Kirchen. Letztere hat er sehr neogotisch bauen lassen, die übrigen Gebäude überwiegend klassizistisch, gerne mit Säulen, weitgehend mit einheitlicher Traufhöhe. Das erinnert an Wien, nur etwas kleiner. Auch nach Bollé baute man noch weiter, unter anderem im Jugendstil und Art Déco.

Überraschend, zumindest für uns, stecken hinter den herrschaftlichen Vorderhäusern in der Regel Hinterhöfe mit einem Seitenhaus und Remisen, in denen sich allerhand Gewerbe angesiedelt hat. Dort werden Haare geschnitten, Kaffeetassen gefüllt, Fotokopien angefertigt und sogar gelegentlich Mehrgänge-Menüs kreiert. Wer also hier spazierengeht, sollte immer mal wieder einen Blick auf die Werbeschilder an den Hofeinfahrten werfen.

Viele der Museen und Kirchen sind zurzeit nur von außen zu besichtigen, denn 2020 schüttelte ein weiteres Erdbeben die Stadt durch, und seitdem repariert man die Schäden. Das ist offenbar ein langwieriger Prozess, manchmal sind noch nicht einmal Ansätze von Bauarbeiten zu erkennen. Anderswo reichen sich süd(ost?)asiatische Bauarbeiter die Ziegelsteine einzeln von Etage zu Etage auf dem Gerüst zu. Gründlichkeit steht hier im Vordergrund, nicht Geschwindigkeit – das kennen wir Berliner.

Skulptur eines Autos mit scheinbar herabgefallenen Fassadenteilen, Stadtmuseum Zagreb
Das ist nur ein Kunstwerk – tatsächlich während des Erdbebens 2020 von Fassadenteilen getroffene Autos waren nur noch Blechklumpen.

Die beiden Vorgängerstädtchen Zagrebs, Gradec und Kaptol, befanden sich auf zwei gegenüberliegenden Hügeln, zwischen denen ein Bächlein floss. Kaptol beherbergt bis heute die Kirchenherren und ihre Institutionen, Gradec die Adligen, Handwerker und Bürger. Grün waren sich die beiden Teile nicht, weshalb es immer wieder zu Kämpfen im Tal kam und die Brücke über den Fluss „Blutbrücke” genannt wurde.

Die kürzestes Standseilbahn der Welt in Zagreb legt knapp 70 Meter zurück. Heute sind Gradec und Kaptol zur Oberstadt verschmolzen und vor allem Auslaufgebiet für Touristen. Sie finden dort unter anderem das Museum der Stadt und das für naive Kunst, beide trotz Erdbeben geöffnet. Bischof. kroatischer Präsident und das Parlament des Landes residieren ebenfalls oben. Der Bach im Tal fließt jetzt anderswo, die Blutbrücke ist abgerissen. Nur die Gasse an ihrer Stelle heißt noch „Krvavi Most”. Das eigentliche Stadtleben spielt sich in der Unterstadt ab.

Von dort nach oben fährt die kürzeste und „sinnloseste” (so unser Stadtführer) Standseilbahn der Welt. Sie legt eine Strecke von knapp 70 Metern zurück, braucht dafür etwas weniger als 60 Sekunden und fährt alle zehn Minuten. Eine Touristenattraktion, denn die Einwohner sind zu Fuß immer schneller. Sie benutzen Treppen oder die wenig befahrenen Straßen, um die rund sechs Etagen zwischen oben und unten zu überwinden.

Schmaler Radweg auf dem Bürgersteig in Zagreb In der Oberstadt trifft man praktisch keine Radfahrenden - die haben wohl keine Lust, sich übers Kopfsteinpflaster zu quälen. Unten hingegen zischen sie überall herum, vorzugsweise auf Bürgersteigen. Die Straßen sind eng und häufig wegen der Straßenbahnschienen keine gute Wahl für Zweiräder. Irgendwie hat irgendwer auch schon das magische Wort „Verkehrswende” gehört, weshalb an einigen Stellen spaßige Radwege auf die Bürgersteige gemalt sind – bloß nicht die Autofahrenden nerven. Rund 55cm breit, rot, und völlig unbrauchbar. Häufig reichte die Farbe nur für eine Straßenseite, sodass die Räder in beiden Richtungen über die handtuchbreiten Wege schlingern müssen. Geklingelt und gebrüllt wird übrigens nicht, trotz des ständigen Kampfs um den knappen Platz.

Da so vieles geschlossen ist, müssen Touristen sich über Kleinigkeiten freuen, etwa über das „grüne Hufeisen”. Diese Grünanlagen ziehen sich U-förmig vom Hauptbahnhof nach Norden, die untere Rundung bildet der über 140jährige Botanische Garten. Der Eintritt dort ist lachhaft, und es blüht schon viel mehr als bei uns im Norden. Zwischen Garten und wissenschaftlicher Ausstellung hält der Garten eine gelungene Balance, sodass es auch für botanisch Desinteressierte nicht zu langweilig wird. Manchmal könnte man sich wohl nach der Sinnhaftigkeit eines Pflanzplatzes fragen, wenn etwa die schattenliebenden Hosta und Türkenbundlilien in der prallen Sonne stehen.

Kamelienblüte Blüte Iris tuberosa
In Zagrebs Botanischem Garten blühen unter anderem Kamellien und reichlich versteckte Iris tuberosa.

Wenig nördlich vom Botanischen Garten steht das kroatische Nationalarchiv. Dort finden tatsächlich jeden Tag zwei Führungen statt. Wir hätten eine auf Englisch bekommen, aber kaum hatte die Führerin unsere Muttersprache identifiziert, rief sie einen deutschsprachigen Führer herbei. Wer rechnet denn mit sowas? Der Herr erzählte jedenfalls voller Begeisterung von dem als Unibibliothek errichteten Gebäude, in dem das Archiv ursprünglich nur einen Flügel einnahm. Ein Stein gewordener feuchter Traum jedes Jugendstilliebhabers: Mit gläsernen Perlenschnüren verzierte Deckenlampen, Tischbeleuchtung direkt aus dem Manufaktum-Katalog (aber eben Original), kupferne Türornamente – und alles perfekt in Ordnung.

Blick in den großen Lesesaal des kroatischen Nationalarchivs, Zagreb
Im großen Lesesaal des Nationalarchivs sieht es noch aus wie zur Bauzeit Anfang des 20. Jahrhunderts.

Übrigens gibt es im Nationalarchiv auch ein Mini-Café. Von außen ist es nicht zu sehen und seine Zielgruppe sind wohl nur die Mitarbeitenden. Macht aber nichts, man bekommt dort durchaus auch als Fremder einen Kaffee und sogar ein Sandwich, was uns in der kulinarisch verwüsteten Umgebung den Hungertod ersparte. Man findet zwar eigentlich genug zu Essen hier, sogar in der Regel zu viel. Aber mittags eine Kleinigkeit aufzutreiben, das ist eine Herausforderung. Alle Welt sitzt in Cafés und schlürft Kaffee, Bier, Wein, Wasser, Limo – doch niemand isst. Vielleicht tut man das hier einfach nicht um die Zeit, weil die Portionen abends so riesig sind.

Ćevapčići ist aus der Mode

Einmal probierten wir es mittags mit „Pub-Gerichten“. Ćevapčići für knapp sieben Euro, sowas eben. Zwei, drei Fleischröllchen hätten genau gepasst. Aber es kamen acht Stück auf den Tisch, plus üppig Pommes. Zur Enttäuschung der Kellnerin nahmen wir keinen Nachtisch. Keine Ahnung, wo die Leute das ganze Essen lassen. Obwohl – viele der hiesigen Jungs sind schon sehr, sehr lang, und manche auch breit.

Was bei uns jahrelang als „internationale Küche” durchging, ist hier gar nicht mehr so leicht zu finden. Kroatien isst Sushi, Pizza, Burger (ganz viel), aber Ćevapčići und die Monstergrillplatten scheinen aus der Mode gekommen zu sein. Stattdessen kann man sich in dem einen oder anderen Restaurant mit Degustationsmenüs oder à la Carte füttern lassen, unter anderem mit frischem Fisch. Unsere Erfahrungen damit im „Mano 2” und „Dubravkin put” waren sehr gut, wenn auch die „Trüffel” nicht so schmeckten wie das italienische Original. Die Köche machen dort gerne mal etwas Staub (von Schnittlauch oder verbrannten Zwiebeln oder sonstwas) über ein Gericht. Schadet nicht, bringt aber außer Farbe nüscht. Aber das eigentliche Essen war lecker, obwohl ein fünfgängiges Degustationsmenü einem inzwischen die eigenen Grenzen aufzeigt.

Scheußliche, naive und österreich-nahe Kunst

Trotz Erdbeben war das eine oder andere Museum geöffnet, was nicht nur Freude machte. Im alten Kloster zeigte man Werke von Oton Iveković, der Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts den Pinsel schwang. Heraus kamen offenbar vorzugsweise Historienschinken abgeschmacktester Art und romantisierend-folkloristisches Zeug, etwa lächelnde Ernterinnen in blütenweißen Kleidchen. Den kroatischen Besuchern schien es zu gefallen, uns eher weniger. Dafür waren im Museum für naive Kunst gleich um die Ecke einige schöne Gemälde zu sehen, darunter eine deutlich realistischere Ernteszene.

„Ernte“ von Mirko Virius, Öl auf Leinwand, 1938
„Ernte“ von Mirko Virius, 1938. Das Bild hängt im Museum für naive Kunst.

Ebenfalls geöffnet war das Museum zeitgenössischer Kunst in der südlichen Neustadt Zagrebs. Dort war, man ahnt es, nicht Bollé tätig, sondern namenlose Entwerfer:innen industriemäßig produzierter Wohnbauten. Große Blocks, dazwischen große Grünflächen und sehr breite Straßen. So breit, dass keine Fußgängerüberwege gebaut wurden, sondern Tunnel nach Moskauer Vorbild. Vermutlich war das alles gut gemeint, aber das Ergebnis wirkt trotz des vielen Grüns für uns bedrückend.

Neubaublock in Zagrebs Neustadt
In der südlichen Neustadt Zagrebs stehen die Produkte planmäßigen und industriellen Wohnungsbaus in großzügigen Grünanlagen.

Und die zeitgenössische Kunst? Nun ja, wer die Stücke in Österreich schätzt, also Fluxus, Konzeptkunst und die Blutexzesse von Nitsch etc., der hätte es hier auch gefallen. Anderen mag es zu viel Nabelschau und zu langweilig sein.