Hanoi see bei nacht

Hanoi zum Ersten: Revolution und Kunst

28.3.2015

Für die letzte Station in Vietnams Hauptstadt Hanoi hatten wir eine Woche Zeit. Im Hotel fand man das merkwürdig; drei, maximal vier Tage reichten doch, so viel gebe es nicht zu sehen in der Hauptstadt. Gibt es doch. Dazu, wie in Saigon, viel zu hören, vor allem Gehupe. Da unsere Unterkunft gegenüber der Kathedrale liegt, bekommen wir zudem regelmäßig heftiges Gebimmel ab. Kein Gedanke an Schlaf ohne Ohrstöpsel, aber wer sich hier in der Altstadt einquartiert, braucht sich nicht zu beschweren. Für ihre Kathedrale haben die französischen Katholen übrigens eine Pagode abgerissen. Vernichtung von Kultur(gütern) ist also keine Erfindung durchgeknallter Islamisten, das können andere mindestens genauso gut.

Mopedfahrer im Regen, Hanoi
Kaum tröpfelt es ein bisschen, legen die Mopedfahrer bunte Plastikhüllen an.

Hier im Norden ist es zurzeit deutlich kälter und feuchter als im Süden, das heißt höchstens um die 24 Grad und öfter Regen, von Niesel bis Wolkenbruch. Das stört aber nicht weiter, es gibt genügend Sehenswertes unter Dach. Und wenn es zu Fuß zu weit ist, nimmt man einfach einen der zahllosen Busse. In dieser Hinsicht ist Hanoi noch besser ausgestattet als Saigon. Man findet sogar das Liniennetz als PDF, wenn man hartnäckig genug sucht. Aus unerfindlichen Gründen sind diese Busse meistens ziemlich leer, wir müssen nur selten stehen. Man zahlt um die 30 Cent beim Schaffner, der kassiert und sich, wenn er kann, nach dem Ziel erkundigt. Dann sagt er rechtzeitig Bescheid. Sonst hilft – unbedingt empfehlenswert! – die App maps.me mit ihren Offline-Karten. Die von Hanoi bezeichnet sogar viele Bushaltestellen mit den Nummern der Linien.

Stadtbus in Hanoi
Mit diesen Stadtbussen kommt man in Hanoi bequem und preiswert fast überall hin.

Bei den Vietnamesen ruft unsere ÖPNV-Versessenheit mindestens mildes Erstaunen hervor. Hotel-Mitarbeiter finden Taxi irgendwie besser oder Garküche auf dem Bürgersteig, Hanoi angemessener für reiche Westler. Von Fahrrad ganz zu schweigen, das halten sie für zu gefährlich für Weiße. Die Mit-Busfahrer werfen uns, da wir immer die einzigen erkennbaren Ausländer sind, verstohlene Blicke zu. Oder versuchen ins Gespräch zu kommen, wenn wir „zwei Fahrkarten“ auf Vietnamesisch kauften. Was nicht klappt, weil dieser Erwerb unseren Wortschatz weitgehend erschöpft hat. Auf jeden Fall ist Bus fahren viel erholsamer als zu Fuß zu gehen: Weder muss man sich auf dem Bürgersteig zwischen Mopeds, Essens- und Verkaufsständen sowie anderen Fußgängern hindurchschlängeln, noch beim Überqueren der Straße sein Leben aufs Spiel setzen. Denn obwohl die Moped- und Auto-Fahrenden scheinbar um jeden Fußgänger einen Bogen machen, hat Vietnam eine deutlich höhere Zahl von Verletzten und Toten im Straßenverkehr als Deutschland – pro 100.000 Einwohner, versteht sich.

Lenin-Statue im Lenin-Park, Hanoi
Hier hat Lenin noch einen Ehrenplatz, gleich neben dem ehemaligen Kaiserpalast von Hanoi.

Weggeguckt haben wir allerhand Museen und den einbalsamierten Ho Chi Minh. Sah auch nicht gesünder aus als Lenin, aber hier ist es so eine Art Erlebnismausoleum. Top-Sicherheitscheck inklusive Abgabe von Wasserflaschen, anschließend Warten im Nieselregen, bis rund 2000 junge Pioniere den Eingang gefunden haben. Zwischendurch marschierten immer mal wieder ein paar schmucke Jungs in weißer Paradeuniform per Stechschritt durch die Gegend oder drapieren einen Kranz an der Abwurfstelle. Ist man drin, muss man ruckzuck an der Leiche vorbeidefilieren und draußen den Massen folgen. Zu Onkel Hos Autosammlung, Onkel Hos Arbeitsdomizil (Stein, Bett ohne Matratze) und Onkel Hos Wohnhaus (Holz, auf Stelzen). Letzteres konnte man mit ein bisschen Geschick umgehen. Was ich getan habe, hatte ja schon mal Lenins Holzhaus gesehen. Zwischendurch zig Souvenir-Shops, die vorzugsweise geschmacklose Ho-Paraphernalien feilbieten, und gastronomische Versorgungseinheiten.

Kitschiges Ho-Chi-Minh-Gemälde

Am Ende des Parcours steht das Ho-Chi-Minh-Museum, dessen Besuch sich wirklich gelohnt hat. Ein kurzer Abriss der vietnamesischen Geschichte, mit Erklärungen und Installationen, nicht nur aneinandergereihte Dokumente und Fotos. Ein schöner Bau, trotz des Protzes. Als Europäer neigt man natürlich dazu, das ganze Revolutionspathos etwas albern oder gar nervig zu finden. Aber bitte: Die hatten hier von 1945 bis 1975 Krieg, als Popelland gegen die westliche Supermacht. Selbstgebastelte Sprengfallen und Bazookas gegen Panzer, B52-Bomber, Napalm und Agent Orange.

Keine Spur von Entschädigung für Kriegsschäden

Bis heute keine Reparationen durch die USA, keine Hilfe beim Wiederaufbau, kein Geld für die Opfer von Agent Orange und Napalm. Da bleiben vietnamesisches Pathos und Heldenverehrung eine lässliche Sünde. Ach ja, nicht zu vergessen: 1979 hat Vietnam nebenan die Roten Khmer verjagt. Was ihm nicht etwa Sympathien der westlichen Freiheitsfreunde einbrachte. Die hielten lieber die Khmer Rouge noch bis 1999 für die legitime Regierung Kambodschas und regen sich heute darüber auf, dass denen in Kambodscha erst jetzt der Prozess gemacht wird. Wäre das Essen hier nicht so lecker, müsste man doch mal eine Runde kotzen.

Vietnamesische Massenkunst, Motive von Botero und van Gogh
Van Gogh und Übergewichtige von Botero werden hier überreichlich nachempfunden.

Genug geschimpft, erstmal. Nach Saigon und Hue ist Hanoi schon die dritte Stadt in Vietnam mit einer auffallend großen und interessanten Kunstszene, zumindest was Malerei angeht. Das Kunstmuseum hat eine erschlagend große Sammlung, und noch an den unwahrscheinlichsten Stellen stolpert man über Galerien. Heute zum Beispiel in einem nicht funktionierenden Shopping-Center: zwei Etagen fast nur Galerien und fast nur Ungewöhnliches.

Kunst im Zeitalter ihrer beliebigen Reproduzierbarkeit

Wobei es nach unserem Eindruck wirklich einzigartige Kunst nur einen kurzen Moment lang gibt. Dann wird sie von anderen kopiert oder vom Autor selbst in solchen Mengen hergestellt, dass man an Rubens und seine Werkstatt denken muss. Ein gutes Beispiel ist Van Tho; mit seinen (Selbst-)Porträts. Das erste und zweite fanden wir toll. Dann hingen in der nächsten Galerie drei ähnliche, in der nächsten vier und in einer dritten wieder zwei. Man weiß nicht mal, ob die alle echt sind – anders als bei den diversen van Goghs, Boteros (keine Ahnung, wem die gefallen) und Mona Lisae, die man in fast jedem Laden kaufen kann.

Vietnamesische Lackbilder
Klassische und revolutionäre Sujets in Harz

Neben Öl und Aquarell verwenden Maler hier auch Techniken, die anderswo kaum eine Rolle spielen: Seidenmalerei, Sticken und „Lack“malerei. Letztere hat mit Lack eigentlich wenig zu tun, denn es handelt sich um Harz, dass in mehreren Schichten aufgetragen, geschliffen und gefärbt wird. Besondere Effekte entstehen durch eingearbeitete Eierschalen, Perlmutt und Blattgold. Das Verfahren ist zwar alt, aber es wird längst nicht mehr nur für traditionelle Motive genutzt. Auch Seidenmalerei hat ein kleines Revival erfahren, aber die Technik ist nicht einfach: Auf dem Untergrund lassen sich keine scharf abgegrenzten Konturen erzeugen, und die Farben wirken arg gedämpft hinterher. Am wenigsten Erneuerung scheint das Sticken erfahren zu haben, da überwiegen die Scheußlichkeiten.

Schade jedenfalls, dass es bei uns so wenig davon zu sehen gibt. Und dass sich bei der darstellenden Kunst hier fast gar nichts zu tun scheint. Aber die Opern in Saigon, Hue und Hanoi dauerhaft zu bespielen, kann sich das Land wohl einfach nicht leisten. Abgesehen davon – wer weiß, ob es überhaupt eine nennenswerte Nachfrage nach modernem Theater oder Oper gibt.

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