Ruhe vor Hanoi in Cat Ba
26.3.2015Es gibt Dinge, die muss man erleben. Heißt es. In Vietnam gehört dazu die Halong-Bucht, die vermutlich jeder schon auf Fotos gesehen hat. In der Hochsaison dürften die pittoresken Felsen zwischen den mindestens ebenso pittoresken Dschunken kaum noch auszumachen sein. Aber jetzt ist Nebensaison und außerdem ständig Dunst, also nicht die beste Zeit für Dschunken-Tourismus. Wir jedenfalls entschieden uns für die Insel Cat Ba, die liegt um die Ecke und ist so was wie Halong-Bucht für Arme. Mit dem Tragflächenboot sowjetischer Bauart ist man von Haiphong aus in einer Dreiviertel Stunde dort, wird bei Seegang allerdings gehörig durchgeschüttelt.
Die Insel war vor allem leer, was nicht störte. Bei Normalbetrieb dürfte es dort eher nervig zugehen, weil es außer Tourismus praktisch nix gibt. Jetzt konnte man nett spazieren gehen, sich unterhalten (mit denjenigen, die nicht ständig was verkaufen wollten) sowie sehr ausgiebig und erfolgreich nichts tun. Oder eine Wanderung im Nationalpark unternehmen. Nach ähnlichen Ausflügen in Laos und Thailand erwarteten wir eine Art gehobenen Spaziergang.
Weit gefehlt. Es ging vier Stunden lang über Stock und vor allem glitschigen Stein, sechs Berge hoch und wieder runter. Voran lief ein drahtiger Herr, kleiner und womöglich älter als wir, aber viel gelenkiger und flinker. Dabei war das Wetter gnädig, es spendierte bedeckten Himmel und nur 28 Grad. Allerdings mehr als genug Luftfeuchtigkeit. Bis zum sehr authentischen Mittagessen hatten wir nur zehn Kilometer zurückgelegt, waren aber rechtschaffen erledigt. Vor allem beim letzten An- und Abstieg hätten Kletterkenntnisse geholfen. Denn bergauf ging es über die vermoosten und rutschige Steine oft nur auf allen Vieren; bergab bremste das spitze Lava-Pflaster des Wegs erheblich. Der Muskelkater begleitete uns noch zwei Tage, das beim Klettern entstandene Loch in der Hose flickte die nette Dame, die uns den Ausflug verkauft hatte.
Nach dieser Erfahrung ist verständlich, warum die Amis keine Chance hatten, ihren Krieg gegen Ortskundige und an das Klima Gewöhnte zu gewinnen: Man ist dauerfeucht von der Luft und dem eigenen Schweiß, andere Farben als Grün lassen sich frühestens im Abstand von fünf Metern erkennen, das Gelände ist fies und ständig wollen Blutegel an den Füßen oder sonstwo nuckeln. Die Biester hatte ich bislang nur im Wasser erlebt, mindestens fünf Zentimeter lang und drei, vier Millimeter dick. Hier im Dschungel gedeiht ein kleiner Verwandter, der auf Bäumen und auf dem Boden lebt. Mit einer Länge von gut einem Zentimeter und maximal zwei Millimeter Durchmesser ist er schwer zu erkennen, hält sich aber hartnäckig fest, wenn man ihn nicht sofort nach seiner Landung entfernt. Wulf hatte einen am Rücken übersehen, der erst in der Nacht sein Leben ließ. Das war nicht schön für das Laken.
Zum Ende der Wanderung brachte uns ein Boot zurück nach Cat Ba, wodurch wir noch die üblichen Fotomotive der Halong-Bucht zu sehen bekamen. Jedoch wegen des den ganzen Tag herrschenden Dunsts nur schemenhaft. Macht aber nichts, alles in allem war das ein gelungenes Abenteuer.
Von hier aus ging es betreut nach Mai Chau, rund 130 Kilometer südwestlich von Hanoi. In der Gegend leben unter anderem Thai, eine von über 50 ethnischen Minderheiten hier. Der Ort liegt so ruhig mitten in Reisfeldern, dass man ohne Ohrstöpsel schlafen kann. Ein seltenes Erlebnis in diesem Land.
Natürlich ist Mai Chau kein Geheimtipp, die Tagestouristen werden busladungsweise hergekarrt. Aber wie üblich haben sie wenig Zeit und Energie, treiben sich also vorwiegend in der Nähe des Parkplatzes rum. Weiter weg hat man seine Ruhe. Das dürfte wiederum vielen einheimischen Anbietern von Webwaren und anderen Souvenirs weniger gefallen als uns. Wir haben die zwei Tage hier genutzt, um ein bisschen Ruhe vor der letzten Woche in Hanoi zu tanken.