Matera

Höhlen und Religionskitsch in Matera

17.4.2014

Für eine Nacht mehr als geplant haben wir uns gleich nach der Ankunft im süditalienischen Matera entschieden: Das Gassen- und Treppengewirr ist zu verschlungen, als dass man es an nur einem Tag erkunden könnte. Zumal an jeder Ecke eine Kirche auf Wulf wartete und zwei Kunstmuseen weggeguckt werden wollten.

Aufeinander getürmte Häuser in Matera von unten

Die Stadt ist ursprünglich in den gar nicht so weichen Kalkstein des Bergs gegraben worden. Wie in Kappadokien wohnten die Leute also überwiegend unterirdisch, mit Ställen noch einmal ein bis zwei Etagen tiefer. So stieg die Wärme von den Tieren nach oben, aber nicht nur die. Und auf die Weide ging’s nur durch das Wohnzimmer…

1958 wurde diese Art des Wohnens verboten, und heute leben die Leute hier (bis auf die Touristen) in den üblichen wenig hübschen Wohnblocks mit fließend Wasser, Heizung und ohne Tiere. Einer der Auslöser dieser Modernisierung war der Maler Carlo Levi, auf den man hier sehr stolz ist. Mussolini hatte ihn für zwei Jahre in diese Gegend verbannt. Levi hat wirklich bessere Bilder gemalt als das hier, aber die durfte man leider noch weniger fotografieren. Alte Leute, Gemälde von Carlo Levi Jetzt jedenfalls ist Matera eine 1a-Touristendestination, der glücklicherweise die großen Hotelkästen fehlen. Stattdessen findet man überall kleine Bed & Breakfasts und über mehrere Häuser verteilte Hotels. So geht unser Zimmer über zwei Etagen, und früher hat hier vermutlich eine ganze Familie gelebt. Anzugucken sind noch einige dieser Behausungen, ebenso wie etliche Höhlenkirchen, teils noch mit Fresken.

Das Religiöse ist aber auch heute noch arg präsent. Von Karfreitag bis Ostersonntag gab es jeden Abend eine Son-et-Lumière-Aufführung auf dem gegenüberliegenden Berghang. Am Ostersonntag tremolierten alle 12 Jünger ihre jeweilige Befindlichkeit durch die Nacht, anschließend verblich der Herr lautstark an einem der drei Kreuze. Zum Abschluss flatterte eine laserprojizierte grüne Taube (sie hatte das Falsche gegessen?) über den Berg. Das erinnerte an Michael Phelps’ Butterfly in Slomo.

Heiliger mit Messer im Kopf Nächtliche religiöse Lichtspiele im Tal von Matera

Der Blick aus dem Hotelzimmer geht bei Tag durch den Nationalpark über den Fluss auf die andere Seite der Schlucht. Heute sind wir darüber spaziert und haben uns – anders als die italienische Jugendbande – keine nassen Klamotten geholt. Dieser Trupp war lustig zu beobachten: Testosteron ausschwitzende Jungs mussten den Helden geben, und die Mädels kreischten sich ängstlich einen der Kerle heran, damit er ihnen beim Überqueren helfe. Direkt vor uns machte es dann trotzdem platsch: Ballettschuhchen verschlanken zwar den Fuß, geben aber wenig Halt auf bemoosten Steine . 2014? Selbstbewusste Frauen? Nicht am Ostermontag in Matera.

Italienische Jugendliche überqueren den Fluss im Tal von Matera

Junges Pärchen mit merkwürdigen Klamotten in Matera Neben den zu pflegenden Vorurteilen wie dem, dass die Jungs hier alle Machos sind, gibt es auch die, von denen man sich verabschieden könnte. Zum Beispiel, Italienerinnen jeden Geschlechts seien durchweg gut angezogen oder die hiesige Ernährung verhindere zuverlässig das Dickwerden.

Die Gegenbeispiele sind Legion. Auch der Eindruck, hier sei man zumindest dem Fremden gegenüber distanziert, passt nicht (mehr) zum Leben. Alle möglichen Leute sind spontan hilfsbereit, und zum Italienisch sprechen kommt man erst gar nicht. Denn jeder kramt sein Englisch raus, manche auch Deutsch. Dem niedlichen Eisverkäufer fiel sogar sofort auf, dass seiner “Waffe” noch das l fehlt, um sie zu einem geeigneten Eisbehältnis zu machen.

Blick auf Matera von unten

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