Marktplatz von salers

Zottelige Kühe rund um taumelnde Türme

14.10.2021

Bevor es weitergeht nach Salers, noch ein paar Wörter zu Le Puy-en-Velay. Unerwähnt blieb bislang, dass es in der Auvergne liegt – die Region, aus der, so heißt es, die besten Köche Frankreichs kommen. Glücklicherweise sind einige auch hiergeblieben, sodass wir mehrmals überaus lecker gesättigt und glücklich vom Tisch aufstanden. Das klassische Menü, das in Paris fast ausgestorben zu sein scheint, ist hier noch überall im Angebot, manchmal als einziges.

So etwa im „Comme à la Maison“ („Wie zuhause“) in Le Puy. Als wir das Restaurant beim Abendspaziergang in einer Seitengasse unterhalb der Kathedrale entdeckten, wies die Tafel „Nous sommes complets“ reservierungslose Hungrige gleich wieder ab. Da die restliche lokale Gastronomie eher unter freien Tischen als unter Gästeansturm leidet, musste wohl was dran sein an dem vollen Laden.

Nicht zweimal dieselbe Überraschung

Thunfisch-Sashimi mit Guacamole im „Comme à la maison“ Eines Mittags gelang uns dann eine Reservierung für denselben Abend, und die Empfangsdame stellte uns vor die Wahl: Wir könnten entweder dem Koch vertrauen und uns für drei bis fünf unbekannte Gänge entscheiden oder das feste Drei-Gänge-Menü ohne Überraschung bestellen. Überraschung ist immer gut, und auch diesmal gab es keine Enttäuschung. Kalbs-Carpaccio als Gruß aus der Küche (das war schon der erste Gang), eine leckere Fisch-Pilz-Rouille-Angelegenheit, die leider so leise und schnell beschrieben wurde, dass keine Details ankamen, und ein kurz an der Pfanne vorbeigetragenes Filet vom Rind (dessen Lebensgeschichte eine Urkunde an der Wand verriet) mit Gemüse der Saison. Hört sich banal an, schmeckte aber grandios und wäre auch einen höheren als den verlangten Preis Wert gewesen. Am letzten Tag gönnten wir uns das Ganze nochmal, und tatsächlich gab es (Überraschung!) etwas anderes: Thunfisch-Sashimi mit Guacamole, zwei Sorten Kaviar und Sauce Vierge als Vorspeise und Rebhuhn in einer Pilzsoße danach. Der Thunfisch überzeugte sogar uns eingefleischte Sushi-Gegner.

Rebhuhn mit Pilzsoße im „Comme à la maison“ Aber auch ungezielt und ohne Voranmeldung gibt es positive Überraschungen: Mittags in Polignac, kurz vor 14 Uhr. Die „Auberge du Donjon“ (Herberge zum Festungskeller) war gerade noch in Betrieb, aber der Wirt beschied uns gleich, es gebe nur zwei Gerichte à la Carte oder das Menü – man habe drinnen eine Gruppe von 30 Leuten zu versorgen. Also quasi geschlossenen Auges das Menü bestellt, das mit einem „Salade Auvergnate“ begann, der eigentlich als vollständige Mahlzeit durchgegangen wäre. Dann Fisch in einer Supersoße mit leider ungesalzenem Reis und danach Nachtisch nach Wahl, die auf eine Crème brulée à la Verveine fiel. Für 17€ pro Person waren wir auf das wunderbarste gefüttert worden. In den großen Städten dürfte man, schon wegen der dortigen Mieten, derlei allerdings nicht mehr finden.

Bessere Arbeitsbedingungen in der Gastronomie

Kurz: Qualität stimmt, Quantität stimmt, Preis stimmt. Bei den Öffnungszeiten jedoch müssen sich Berliner:innen disziplinieren. Restaurants empfangen von 12 bis 14 und von 19:30 bis 21:30 oder gar 19 bis 20 Uhr. Außerhalb dieser knappen Intervalle wird es schwierig oder schlecht oder teuer oder alles davon. Dazu kommen ein bis drei Schließtage pro Woche, sonntags hat eigentlich fast nichts geöffnet. Von außen betrachtet, scheinen also die Arbeitsbedingungen in der Gastronomie deutlich günstiger als bei uns zu sein. Allerdings sind auch viele Lokale relativ klein, lassen sich also mit wenig Personal bespielen.

Nôtre Dame de France in Le Puy-en-Velay Saint Michel in Le Puy-en-Velay von unten
Nôtre Dame de France (links) wurde aus Kanonen gegossen und zertritt eine Schlange als Symbol für das Böse. Die Kirche St. Michel steht auch auf einem Vulkangipfel und erinnert an das segensreiche Wirken des Erzengels Michael.

Ähnliche Begeisterung wie fürs Essen zeigen die Auvergnats fürs Religiöse. In Kombination mit den Kegeln der erloschenen Vulkane führt das zu einer erschütternden Dichte übergroßer Bauwerke fragwürdiger Schönheit auf natürlichen Erhebungen. Le Puy liegt dabei weit vorne mit einer Maria (Nôtre Dame de France), einem Josef, einer dem Statue des Hl. Joseph in Le Puy-en-Velay Erzengel Michael gewidmeten Kirche (quasi Mont St Michel auf dem Festland) und der Kathedrale. Anderswo muss man sich, mangels Hügel, mit einer Maria bescheiden.

Gemein haben die Statuen, dass ihre Süßlichkeit Diabetiker sofort zur Insulin-Spritze greifen lassen dürfte. Die von Maria dargestellte „Mutter Frankreichs“ in Le Puy entstand aus rund 200 Kanonen, die Frankreich im siegreichen Krim-Krieg gegen Russland eingesetzt hatte. Die das Kind tragende Mutter zertritt eine Schlange und symbolisiert so die französische Überlegenheit: der Sieg des Guten über das Böse. Wie das so ist mit dem Christentum, der Nächstenliebe und der anderen Wange. Dank einer Treppe im Innern der Figur können Besucher bis in den Kopf von Frankreichs Mutter klettern und sich so dem Himmel noch etwas näher fühlen.

Schweißfreie, malerische Autofahrt

Von Le Puy ging es auf einer Straße nach Salers, die der Reiseführer als besonders malerisch und wegen ihrer Hanglage als schweißtreibend anpries – nur das Erste stimmte. Obwohl das Dorf Salers (knapp 400 Einwohner) ab vom Schuss liegt, hat es eine ähnliche Sogwirkung auf Touristen wie Rothenburg ob der Tauber. Zu sehen bekommen sie allerdings fast nichts: enge Gassen mit den typischen Häusern aus Naturstein und viele Läden, die mehr oder (meist) weniger hübsche Dinge anbieten. Darunter ein Schnitzer (Verarbeiter? Dreher?), der aus Rinderhörnern einige schöne Dinge macht. Neuerdings experimentiert er auch mit Farben, etwa mit Curcuma für Gelb, aber das beschränkt sich noch auf Armreifen.

Vieux Bailliage in Salers
Die „Vieux Bailliage“ in Salers beherbergte früher die Vertreter des Staates im Städtchen.

Auch ein Heimatmuseum öffnet gelegentlich, das viel Engagement, aber wenig Museumspädagogik ausstrahlt. Je nach Herkunft bekommen ausländische Besucher dort einen Zettel in ihrer Muttersprache, der die Exponate vorstellt, aber kaum erklärt. Für Einheimische übernimmt das Erklären ausführlichst die Kartenverkäuferin, möchte aber dabei nicht von Übersetzenden gestört werden. So bleibt denn die Geschichte der hiesigen Rinder weitgehend unergründet.

Salers-Rind auf der Weide
Eins der hier gezüchteten und verehrten Salers-Rinder bei der Arbeit.

Tagsüber stehen die braunen Salers-Kühe mit ihren riesigen Hörnern und dem zotteligen braunen Fell überall auf den Wiesen, und abends trifft man Teile von ihnen (ohne Fell und Hörner) auf dem Teller wieder. Dazu gibt es unvermeidlich „Truffade“, die nichts mit Trüffeln zu tun hat. Die Beilage, die durchaus das Zeug zum Hauptgericht hat, besteht vielmehr aus Kartoffeln mit Speck, Käse und Zwiebeln, nicht überbacken, sondern zu einer zähen Masse verrührt. Das ist lecker, aber auch unglaublich sättigend.

Tal zwischen Le Puy-en-Velay und Salers im Gegenlicht
Auf dem Weg nach Salers gibt es vor allem Gegend zu sehen, und zwar viel davon.

Da in Salers nicht viel zu tun und zu sehen ist und die einzige mögliche „Wanderung“ nach 90 Minuten abgewandert war, schauten wir uns in der Nähe um. Dort gibt es ein „mittelalterliches Dorf“, laut deutscher Beschreibung dauerhaft bewohnt. Das allerdings stellte sich als Übersetzungsfehler heraus – die Anlage war ein übliches Freilichtmuseum, das das Leben im 15. Jahrhundert nachbildete. Es lag in einem Kastanienwald, sodass wir durch einen Bodenbelag aus frisch gefallenen Maronen stapften.

Maronen auf dem Boden
Nicht nur war der Boden im mittelalterlichen Dorf mit Maronen übersät, man musste auch aufpassen, nicht von ihnen erschlagen zu werden.

In vier Sprachen erläuterten die Texttafeln dankenswerterweise nicht nur die Bauweise, sondern vor allem das Alltagsleben seinerzeit: Wer kein Geld und keinen Besitz hatte, wurde in allen Bereichen reglementiert. Dafür waren unter anderem Notare zuständig, die hier offenbar schon sehr früh existierten. Schon ein Blick in eins der Häuser (eher größere Hütten) reichte, um große Freude über die Fortschritte der Zivilisation auszulösen: Licht, Heizung, Fenster, Möbel, das war alles knapp oder abwesend. Dafür roch es nachhaltig muffig und feucht, und persönliche Hygiene kam nicht nur auf den Tafeln, sondern wohl auch in der Wirklichkeit nicht vor.

Blick auf die Tours de Merle
Die Tours de Merle liegen malerisch in einem Tal an der Maronne.

Noch etwas weiter von Salers finden sich die „Tours de Merle“, Reste einer Burg am Flüsschen Maronne. Es sind fast nur noch die Türme von ihr übrig, zwischen denen die Besucher auf steinigen Wegen herumkraxeln dürfen. Vor allem die Kinder begeistert das, Erwachsene genießen vermutlich eher die Aussicht und die romantische Lage der Anlage.

Zwischen solidem Schwarz und beruhigendem Braun

Gebaut wurde und wird hier überwiegend mit Naturstein. Oder zumindest sieht es so aus, denn die Fassaden bestehen daraus. Je nach Herkunft des Materials kann das eine recht düstere Angelegenheit werden, vor allem offizielle Gebäude bedienen sich der schwarzen Brocken – immer dominieren Schwarz, Grau, Braun und Beige den Ort. Auf den ersten Blick wirkt das romantisch, aber nach längerem Aufenthalt doch ein wenig bedrückend.

Haus in Salers mit farbigem Sockel
Die Ausnahme für die Regel: Ein klassisches Auvergnate-Haus mit farbigen Akzenten

Fachwerk erzeugt einen freundlicheren Eindruck, da die Flächen zwischen den dunklen Balken meistens weiß angepinselt sind. Das mit dem Pinseln ist hier nicht so angesagt, und auch Straßengrün gilt als bäh. Genauso übrigens wie Bürgersteige und Radwege. Autos bekommen selbstverständlich immer genügend Platz, der Rest darf sehen, wo er bleibt. Neuerdings malen die Zuständigen eine gestrichelte Linie auf die Landstraße, die rechts zwischen 50 und sieben Zentimeter Asphalt für Räder reserviert. Wird der Platz für die Autos zu knapp, fällt natürlich dieser Alibi-Radspur weg – im Land der Tour de France.

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