Triest von oben

Triest sehen und weiterleben

27.10.2019

Triest ist eine dieser Städte: Kaum angekommen, fragt man sich, wieso man nicht schon viel früher kam und warum man je wieder abreisen sollte. Venedig ist so, Istanbul und eben Triest, unwahrscheinlicherweise. Denn was ist schon Triest? Keine von den zehn besuchenswertesten Städten 2020, jedenfalls. Dazu gehört ausgerechnet Bonn, meint der Lonely Planet. Gut, so bleibt das schöne Triest abseits der Touristenströme unscheinbar in seiner Ecke.

Laut Plan schafft es die Bahn in 12 Stunden von Berlin nach Triest, die letzten drei davon im österreichischen Bahnbus ab Villach. Es sei denn, in Rosenheim fällt die Lok aus – dann bekommt man den landschaftlich großartigen Umweg in der Dämmerung über den Brenner und Verona.

Mit 80 durch das nächtliche Triest

Triest bei der Ankunft mitten in der Nacht sieht aus wie die Kulisse eines KuK-Films nach Ende der Dreharbeiten. Die leeren Straßen immer ein wenig zu schmal für die Häuser, Bäume fehlen wegen „das stört die Herrlichkeit“. Der Taxifahrer muss bald ins Bett und fährt deshalb wie der junge Michael Schumacher. Glücklicherweise werden die Ampeln immer dann grün, wenn er bei Rot rüberfahren will. Grüne Welle bei 80 nur für Taxistas?

Einzeln stehendes dreieckiges Haus in Triest
Klassizistisch und bis zur Dachkante dekoriert: ein typisches Haus in Triest

In den Eingang des Apartmenthauses könnte eine sechsspännige Kutsche rattern, dank Marmorboden spurenlos. Vom Vestibül schwingen sich rechts und links die Treppen nach oben, mit Stufen so flach, dass auch eingeschnürte Comtessen sie ersteigen könnten. Das Apartment ist dann ent-stuckt, nüchtern funktional, aber wer möchte schon überall Empire haben.

Das steht schließlich draußen überall herum. Portiki und Säulen, Giebelchen und Erkerchen, hier ein Relief und dort eine allegorische Figur, Justitia, Apoll oder ein Löwe – ganz egal, Hauptsache keine Ecke bleibt ohne Verzierung. Großartige Bronze- und Holztüren schützen sogar die Eingänge ehemaliger Bürgerhäuser.

Auf alt getrimmtes Haus in Triest Verzierte Tür eines Wohnhauses in Triest
Ornamente müssen sein, ob an Fassaden oder Türen.

Was manche für ruiniert halten

Triest, das war mal der größte Hafen der österreichischen Monarchie. Und seitdem haben die Italiener die Stadt in die Bedeutungslosigkeit regiert, erzählt uns der Nachkomme einer KuK-Familie. So wie angeblich die Polen das schöne deutsche Pommern ruiniert haben? Der Besucher spürt jedenfalls nichts vom Ruin, sondern sieht nur die unversehrte, leicht angestoßene oder renovierte Pracht vergangener Zeiten.

Innenansicht des Café San Marco in Triest
Das Triester Café San Marco sieht größtenteils noch so aus wie bei der Gründung 1914.

Ebenso unübersehbar ist die lange Geschichte des Zusammenlebens von Italienern, Slowenen, Deutschen, Österreichern, Griechen, Serben, Kroaten und sicherlich auch Türken, Montenegrinern, Tschechen, Slowaken in dieser Stadt – halb Europa hat sich hier angesiedelt und Handel getrieben, Bücher (Joyce! Svevo!) geschrieben, Kaffee geröstet und gebraut oder Wein angebaut.

Ein Held der Faschisten als Freiheitskämpfer

Gabriele d’Anunzio, der von den italienischen Faschisten bis heute verehrte Dichter, fuhr an Triest vorbei um Rieka von den Jugoslawen zu befreien und als Fiume wieder an Italien anzugliedern. Das war vor 100 Jahren, weshalb eine Ausstellung im alten Fischmarkt von Triest den Überfall feiert und d’Anunzios Verfassung für Rieka zur fortschrittlichsten ihrer Zeit deklariert, da sie die Gleichberechtigung von Frauen und Männern verlangte.

Hafenpromenade in Triest mit altem Fischmarkt
Links am Rand der alte Fischmarkt von Triest, Heimstatt der Ausstellung über Gabriele d’Anunzio.

Die militärselige Darstellung hinterlässt den Besucher aus Nordeuropa irritiert, gar verärgert ob des unreflektierten Nationalismus. Triest war mal österreichisch, mal jugoslawisch, besetzt von Amerikanern und Briten, jetzt italienisch – was soll da das Bejubeln eines spinnerten italienischen Schriftstellers als Nationalhelden, der das Völkerrecht ignorierte? Initiator der Ausstellung war, hörten wir, ein faschistischer Stadtrat. Das würde passen.

Zwei Zimmer für die Dubliner und Senilitá

Glücklicherweise ist der alte Fischmarkt nicht der einzige Ausstellungsort. Italo Svevo und James Joyce haben ihre eigenen Einraum-Museen in der Stadtbibliothek. Eine Etage darüber erfährt man alles über Petrarca und Piccolomini aus dem Mund der begeisterten Museumsmitarbeiterin und -leiterin, sogar auf Englisch. Vor lauter Emphase vergisst sie zu erwähnen, wer die Herren waren. Vermutlich weiß das jeder, der sich in die Räume verirrt, außer den beiden zu jedem Detail nickenden Deutschen. Also für alle Ahnungslosen: Petrarca schrieb um 1300 wichtige italienische Literatur, Piccolomini war später Papst Pius II, bis 1464. Das Besondere für uns war denn auch nicht, was die beiden getan haben, sondern die ungebremste Euphorie der Museumsdirektorin über ihre Schützlinge.

Serbisch-orthodoxe Kirche am Canal Grande von Triest Pietá mit grinsender Muttergottes, Kirche in Triest
Am Canal Grande steht eine serbisch-orthodoxe Kirche. Die leicht gefühlsverwirrte Pietá winkt den Katholiken.

Wo sich Minimuseen Schriftstellern und Päpsten widmen, gibt es auch größere Ausstellungen. Etwa im Museum Revoltello, das bildende Kunst zeigt und immer mal Werke auf der Biennale in Venedig kauft. Der Besuch lohnt sich, obwohl der Anteil zeitgenössischer und moderner Kunst nicht groß ist. Das Gebäude besteht aus einem alten und einem neuen Teil. In ersterem zeigt es Mobiliar und Deko aus dem 19. Jahrhundert sowie die zeitlich passenden Gemälde. Den zweiten Teil des Museums hat der italienische Architekt Carlo Scarpa entworfen, der Bau dauerte dann etwa so lange wie der des Berliner Flughafens und Scarpa verstarb vor der Fertigstellung. Wer sich nicht für Kunst interessiert, kann die Räume als Fitnessstudio nutzen: Der Architekt war offenbar ein großer Freund sinnloser Treppen. So geht es auf und ab, irgendwann auch raus aufs Dach, wo die Bodenplatten wackeln, das Café seit langem geschlossen ist und man einen schönen Blick über die Stadt und das Meer hat.

StarWars-Masken und asiatische Pornos im Museum

Maske eines japanischen Samurai im Museum für orientalische Kunst, Triest Dann ist da noch das Museum für orientalische Kunst, ebenfalls in einem alten Bürgerhaus untergebracht und Scarpas Umgestaltung durch eine glückliche Fügung entgangen. Uns gefiel es vor allem wegen der Etage mit japanischer Kunst. So kurz nach China hätten wir nicht unbedingt noch mehr hingetupfte Vögel, Berge und Blumen gebraucht. Aber die japanischen Maler emanzipierten sich schnell und gründlich vom anfänglichen chinesischen Einfluss, hinsichtlich Technik und Themen. So sind schon in den Bildern vom Anfang des 20. Jahrhunderts comic-hafte Elemente zu erkennen und die heutigen Animes zu erahnen. Und Pornos haben sie auch gemalt, was man in chinesischen Museen nie sieht. Außerdem haben wir erkannt, wo sich George Lukac die Maske von Darth Vader abgeguckt hat.

Schloss Miramare vom Wasser aus
Wenn ein kleiner Junge sich seinen Traum vom Schloss erfüllen kann, kommt so etwas wie Miramare heraus.

Eine andere Sehenswürdigkeit liegt etwa zehn Kilometer vor Triest auf einer kleinen Landzunge. Dort baute sich Herzog Maximilian aus der Habsburger Sippschaft Mitte des 19. Jahrhunderts sein Schloss Miramare als Traum eines Jungen von seiner Ritterburg. Türmchen und Zinnen und Teich und großer Speisesaal und das Jagdzimmer und das Herrenzimmer und das chinesische Zimmer… Fast hundert Jahre vor dem Bauhaus war Schlichtheit ein Fremdwort, man pinselte und tapezierte und einrichtete, was das Staatsäckel her gab. Bloß kein Stückchen Wand und keine Ecke im Zimmer leerlassen – sollten die anderen Adligen Max für arm halten? Als das Erdgeschoss fertig war, wurde Maximilian Kaiser von Mexiko, und wenige Jahre später erschossen ihn dort die Aufständischen. Sie nahmen ihm unter anderem krumm, dass er den Sohn des letzten mexikanischen mexikanischen Kaisers gegen den Willen dessen Mutter adoptierte.

Ein klitzekleiner großer Kanal

Miramare steht immer noch, die erste Etage ist teilweise im Stil der frühen 1930er Jahre möbliert. Es liegt in einem großen, etwas verwunschenen Park, in dem man großartig spazierengeht. Im Sommer fährt ein Boot regelmäßig zwischen dem Schloss und Triest, wir mussten den Linienbus nehmen.

Canal Grande in Triest Richtung Meer
Der kleinste Canal Grande der Welt gluckert in Triest herum.

Der endet nicht weit vom „Canal Grande“ in der Innenstadt. Ob die Größenangabe einfach nur vom nahen Venedig inspiriert war oder ein Versuch, Besucher anzulocken? Das Gewässerchen ist jedenfalls nur rund 150 Meter lang und 30 breit; ein schlechter Scherz im Vergleich zum Namensvetter. Hier ist die sonnige Seite des Kanals mit Restaurants und Cafés gepflastert, in denen vor allem Touristen essen. Die Einheimischen wissen Bescheid und beschränken sich auf Getränke.

Triester Platte mit Sauerkraut Guckt man etwas abseits von den Besucherströmen, findet man bessere Mahlzeiten. Wir stolperten eines Abends in den kleinen Laden von Marino, wo jeder an einem Tisch jeweils nur eine Variante eines Ganges bekommt. Es müssen also alle die gleiche Pasta, den gleichen Fisch oder das gleiche Fleisch essen. Die Regel ist der kleinen Küche geschuldet, uns hat sie nicht gestört. Marino kocht wunderbar, und wir aßen einfach, was er vorschlug. Dazu gehörte auch Jota, die lokale Suppenspezialität mit Sauerkraut, Bohnen und fettem Fleisch – ein Wohlfühlgericht für die kälteren Tage. Eine andere Spezialität ist die Triester Platte: Fleisch mit Fleisch an Fleisch, auf Wunsch mit Sauerkraut auf einem zweiten Teller. Hört sich an wie Elsässer Choucroute und ist auch nahe dran. In Triest gehörten Wurst, Schweinebraten, gekochter Schinken, Zunge und eine Art Presssack dazu. Durchaus lecker, wenn auch nicht ganz so elaboriert wie italienische Gerichte sonst. Bekommt man unter anderem im Buffet da Pepi.

Essen gehen, wo es den Triestern schmeckt

Das wir wiederum nicht gefunden hätten ohne die Hilfe einiger junger Leute, die das Infozentrum der „Trieste Photo Days“ betrieben. Sie waren begeistert von ihrem Job, der Veranstaltung und der Möglichkeit, ihr Englisch oder gar Deutsch flüssig zu halten. Und auf unsere Frage bekamen wir gleich drei Tipps zum Essengehen. Bestimmt besser als TripAdvisor oder Google zu durchsuchen.

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