Arbeiterin in teeplantage

Von Shanghai nach Hangzhou

16.4.2017

Von der riesigen Großstadt Shanghai ging es in das fast gleich große, aber im Vergleich nahezu leere Hangzhou: 10 mal die Fläche Berlins und nur doppelt so viele Einwohner. Aber erst noch ein bisschen was zu Shanghai.

Fortbewegt haben wir uns dort vor allem mit der U-Bahn. Das ist dank elektronischer Fahrkarte sehr einfach. Kaufen, aufladen und losfahren, wie in London und Istanbul (aber nicht in Berlin). Eine Fahrt mit der U-Bahn kostet mindestens 3 RMB, das ist kein halber Euro. Maximal mussten wir 5 RMB zahlen – immer noch kein Euro, und man darf über eine Stunde in engem Kontakt mit vielen anderen Leuten durch die Gegend juckeln. Das Netz ist super ausgebaut, übermäßig schnell geht es trotzdem nicht unter der Erde. Zum einen, weil die Leute hier einfach extrem ungroßstädtisch, nahezu hannoversch agieren. Nix mit „rechts stehen, links gehen“, nix mit „erst aussteigen lassen“. Die auf der Rolltreppe vertrödelte Zeit muss dringend beim Einsteigen wieder reingeholt werden, weshalb Shanghaier sich am Bahnsteig prinzipiell in der Mitte der Waggontüren aufstellen und dann mit aller Macht gegen die Aussteigenden drängen. Wirkt wenig zivilisiert, geschweige denn klug.

U-Bahnhof in Shanghai
Shanghai hat sich einige sehr hübsche U-Bahnhöfe gegönnt. Da sie fast nie so leer sind, bemerkt man die Schönheit nur selten.

Der andere Grund für das recht langsame Fortkommen mit der U-Bahn liegt im System: Nicht nur die Züge, auch die Bahnsteige sind mit Türen versehen. Also muss der Zug immer ganz korrekt halten, was etwas dauert, und dann müssen beide Türen öffnen. Außerdem sind die U-Bahnhöfe derart groß ausgelegt, dass die Fahrgäste Ewigkeiten rumlaufen, bis sie endlich auf dem Bahnsteig oder wieder an der Oberfläche sind. Das zumindest geht mit Bussen schneller, Ein- und Aussteigen verlaufen aber genauso chaotisch.

Bliebe als Alternative das Fahrrad. Davon stehen und liegen überall welche herum, die man mit einer passenden App (und darin hinterlegter Kreditkarte) mieten kann. Um den Markt der Mieträder balgen sich zig Firmen, erkennbar an den unterschiedlichen Farben. Sogar Elektroräder gibt es und solche mit Vollgummireifen. Also keine Angst vor Platten. Es sieht noch nicht so aus in Shanghai wie auf Fotos aus Peking in den 60ern, als alle Straßen mit Rädern verstopft waren, aber der Radanteil am Verkehr ist erheblich. Da das Leihen so unkompliziert ist, bedienen sich auch viele wenig Erfahrene und torkeln dann mehr als dass sie fahren. Wie es die Radtouristen in Berlin auch machen.

Leihfahrräder blockieren einen Bürgersteig in Shanghai
Wenn die Leihfahrräder nicht fahren, also fast immer, blockieren sie gerne Bürgersteige.
Fahrradreifen aus Vollgummi mit Löchern. Shanghai
Ein Anbieter verleiht Räder mit lustigen Vollgummireifen.

Drittes Fortbewegungsmittel sind Taxis, die auch Ausländer stressfrei benutzen können. Taxameter sind nicht nur vorhanden, sondern werden auch anstandslos eingeschaltet. Mit den in anderen asiatischen Großstädten wie Bangkok oder Kuala Lumpur unvermeidlichen Debatten über den Fahrpreis oder eben das Einschalten des Taxameters muss man sich in China nicht aufhalten. Einzige Schwierigkeit: Dem Fahrer das Ziel mitzuteilen. Da hilft nur eine Adresse auf Chinesisch, die entweder das Hotel oder die Webseite des Museums etc. liefert. Neben dem offiziellen gibt es Taxis ohne Lizenz, was uns beim Rückweg von Botanischen Garten zupass kam. Da mussten wir dann tatsächlich kurz über den Preis reden, aber der lag kaum über dem Üblichen. Und vor allem kamen wir ruckzuck von der Pampa zurück in die Zivilisation.

Chinesische Kunst ist mehr als Ai Wei Wei

In Deutschland könnte man glauben, es gebe nur einen nennenswerten zeitgenössischen chinesischen Künstler, nämlich Ai Wei Wei. Das ist natürlich Quatsch, aber Deutschland kannte ja auch schon außer Solschenizyn keinen zeitgenössischen sowjetischen Schriftsteller… Interessante moderne Kunst haben wir vor allem im M50 gefunden. Das ist ein ehemaliges Fabrikgelände, das jetzt Galerien, hippe Läden und Restaurants nutzen.

Am Besten gefielen uns die Objekte von Island 9, die Gemaltes mit elektronischen Bewegtbildern kombinieren. Da die Gruppe alles auf Englisch erklärt, können auch Auswärtige verstehen, um was es sich dreht. Unter anderem um die überall sichtbaren Überwachungskameras. Die finden wohl nicht alle Chinesen wirklich klasse, weshalb Island 9 ein Werk dazu gemacht hat. Hört sich auf Anhieb nicht nach Unterdrückung der Kunst an. Dann fanden wir noch Nancy’s Gallery, in der die Mitarbeiterin hervorragend Englisch sprach und uns alles mögliche über die Kunst und ihre Produzenten erzählte. Die liegt direkt gegenüber von dem Haus, in dem die Kommunistische Partei Chinas gegründet wurde.

Kunstobjekt „The Eye“ der Gruppe „Island 9“
Die Künstler von Island 9 beschäftigen sich unter anderem mit der in China allgegenwärtigen Videoüberwachung.

Traditionelle Kunst, also getuschte Berge, Bäume, Vögel und so, dominiert das Angebot in Museen, Galerien und Souvenirshops. Das muss man wirklich mögen, genauso die Scherenschnitte, bemalten Fächer und die Holz- und Jadeschnitzereien. Bei letzteren sieht man zaghafte Modernisierungsversuche. Allerdings nur bezüglich der Sujets, die Technik und der detailversessene Realismus ändern sich seit hunderten von Jahren nicht.So schnitzen sie jetzt nicht-winkende Winkekatzen aus Jade, Mao Tse Tung aus Elfenbein (!) und revolutionäre Bauern aus Holz. Ob es wohl einen Markt dafür gibt? Wir konnten uns jedenfalls gerade noch beherrschen.

Elfenbein-Skulptur von Mao Tse Tung in einer Vitrine. Shanghai
Mao in Elfenbein muss zumindest nicht dürsten.

Ruhe finden, wo es teuer ist

In Shanghai ist es voll, wie anscheinend überall in diesem Land. Fast immer und fast überall. Wer seine Ruhe haben will, geht am Besten in eins der großen Shoppingcenter, die an jeder Ecke stehen. Vorzugsweise in eines mit Luxusmarken wie Rolex, Cartier etc. Da ist es garantiert leer, und die Angestellten sterben fast vor Langeweile. Für die teuren Marken ist es wohl eine Frage des Prestiges, in Shanghai präsent zu sein. Zu lohnen scheint es sich nicht.

Richtig gedrängelt wird dann wieder draußen, wo es essbare grüne Bälle im Sechserpack gibt. Zig Meter lang ist die Schlange, und manche, die erfolgreich waren, verscherbeln ihren Einkauf gleich weiter hinten an die Wartenden. Nach eigener Prüfung: Keine Ahnung, was die Shanghaier daran finden. Das Grüne außen ist zäh und fast geschmacklos; im Inneren steckt süßliche Rote-Bohnen-Paste.

In Shanghai trafen wir die Reisegruppe, mit der es zusammen per Bus nach Hangzhou ging. Knapp 200 Kilometer entfernt, soll das die romantischste Stadt der Volksrepublik sein, das Paradies auf Erden. Wenn paradiesische Romantik schon heißt, dass die Häuser nicht mehr 30, sondern nur noch zehn Etagen haben, trifft der Superlativ. Aber das ist vielleicht nicht ganz das, was Europäer mit „Romantik“ verbinden.

Schiff auf dem Westsee in Hangzhou
Nebel oder Dunst – auf dem Westsee war nur wenig zu erkennen.

Musik am kaiserlichen Gewässer

Wichtigste Sehenswürdigkeit ist der riesige Westsee, auf dem alle circa zwei Millionen Touristen eine Bootsfahrt unternehmen. Am liebsten gleichzeitig. Es war etwas kalt und neblig, also noch romantischer. Fairerweise: Die Stadt hat auch ein altes Viertel, das aus einer Fußgängerzone und ein paar Seitenstraßen besteht. Da kann man sich prima riesige chinesische Apotheken angucken, die unter anderem Baumpilze und Ginseng verkaufen. Das Medizinmuseum zeigt allerhand lustige Medikamente und Behandlungsmethoden. Darunter auch Blüten und Wurzeln vom Eisenhut, der als bei uns giftigste einheimische Pflanze gilt. Leider stand nicht dabei, gegen was die Präparate helfen könnten.

Ginseng im Glas, Apotheke in Hangzhou
Ginseng soll geradezu magische Kräfte haben, entsprechend aufwendig die Präsentation.

Wirklich schön ist der Grünzug entlang des alten Kaiserkanals in Hangzhou. Er zieht sich durch einen großen Teil der Innenstadt, weit ab von Verkehrslärm und Drängelei. Da stehen kleine Pavillons, in denen Leute zu mitgebrachter Musik tanzen oder singen. Andere üben Saxofon oder Geige oder spielen Karten. Das ist tatsächlich ganz idyllisch.

Saxofon-Spieler am Kaiserkanal, Hangzhou
Am Kaiserkanal in Hangzhou übt man Saxophon oder tanzt oder singt Karaoke.

In der Nähe von Hangzhou wird grüner Tee angebaut. Nicht irgendeiner, sondern der berühmte Drachenbrunnentee. Ein echtes Wundermittel, wie wir während der Demonstration auf einer Teeplantage erfuhren. Es enthält unter anderem Vitamin A, das bekanntlich gut für die Augen ist. Also braucht man nur eine „Augensauna“ mit dem aufsteigenden Dampf zu veranstalten, schon sieht man besser. Außerdem ist der Tee voll mit Antioxidantien, wofür es sogar einen fast unwiderlegbaren Beweis gab: Jod in ein Glas mit Wasser und Reis geben, der Reis wird braun. Teesud raufkippen, der Reis entfärbt sich. Jod ist ein starkes Oxidans, folglich muss der Tee Antioxidantien enthalten.

Komischerweise entfiel der Teil, in dem die Vorführerin die Brühe mit dem angeblich entschärften Jod trinkt. Das ganze Experiment hat natürlich nix mit Redox-Vorgängen zu tun, der Tee tut dem Jod nix wesentliches. Erfolgreich war das Voodoo jedenfalls: mehrere Mitreisende kauften brav Dosen mit 125g Tee zu über 40€. Da kann man schon mal in ein bisschen Jod investieren.

Arbeiterin in Teeplantage bei der Arbeit

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