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Miami: Von der Dritten in die Erste Welt

31.8.2014

Am schnellsten und preiswertesten fliegt es sich zwischen Nicaragua und Berlin zurzeit via Miami. Auf dem Rückweg haben wir dort ein paar Tage Pause eingelegt, etwas Erholung sollte ja auch sein. Die Stadt eignet sich prima, um sich langsam von der Dritten Welt zu ent- und an die Erste zu gewöhnen. Es gibt Bürgersteige, aber nicht überall. Das Hotel hat warmes Wasser, aber man muss lange darauf warten. Es gibt einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr, aber keinen öffentlichen Fahrplan dafür. Man kann Englisch sprechen, muss aber nicht: Spanisch geht meistens genau so gut. Es gibt formell eine Innenstadt, wie in Managua, aber man möchte dort nicht sein. Eigentlich ist auch keiner da.

Ausgebranntes Auto auf einem Schrottplatz in Wynwood, Miami

Kurz: Man hat noch ein bisschen Mittelamerika-Gefühl, aber auch schon eine Spur von echter Zivilisation. So sollte man den Schildern „ESTA kiosk“ bei der Einreise durchaus vertrauen: Da dauert die sonst an selige Sowjetzeiten erinnernde Prozedur knappe zehn Minuten. Die komischen Kisten erkennen sogar, wenn man mit einer Mütze vor ihnen steht und quengeln solange, bis man die abnimmt. Vorher kein Foto, ohne Foto keine Einreise. Richtig sicher ist das alles natürlich nicht, solange noch keine Geruchsproben genommen werden. Da sollten sie von der DDR lernen. Gegen neunjährige Texanerinnen, die mit der Uzi ihren Schießlehrer abknistern, hilft das Vodoo an der Grenze allerdings nicht.

Dünne und dicke Frau von hinten

Got carried away. Denn es ist doch recht nett in Miami, jedenfalls in South Beach. Das Hotel St. Augustine liegt weit im Süden, wo die Touristenhorden schon etwas ausgedünnt sind. Offenbar zog es dort auch viele Leute aus Griechenland und der Türkei hin, wir haben jedenfalls in der ganzen Zeit immer nur „mediterranean“ gegessen (ok, einmal auch Hamburger).

Türkisches Essen mit türkischem Service

Ganz wunderbar war das „Babylon“ in der Washington St. Ecke 6th: Biergarten mit lecker Efes (Ami-Bier will man in der Regel nicht trinken), Wunsch von den Augen ablesende Kellner (nicht nur beim Biernachschub), lecker Essen, einmal Nachtisch aufs Haus und kein Gedrängel mit der Rechnung. In der Regel ist in den USA ein „Ja“ auf die Frage, ob alles in Ordnung sei, das Signal, die Rechnung auf den Tisch zu knallen. Nicht im Babylon, und nicht mal in der Hamburger-Schmiede. Aber da hatten auch Latinos das Sagen.

Klassischer Diner in Blechverkleidung
In diesem zauberhaft blechernen Diner bekommt man nicht schon beim letzten Bissen die Rechnung hingeknallt.

Fortbewegung erfolgt, wie gesagt, per Bus und Bahn (oder zu Fuß, aber besser nur kurze Strecken und nicht in der Mittagshitze). Es gibt sogar einen gedruckten Netzplan für lau, der die Linien in unterschiedlichen Farben zeigt (Seattle hatte uns vor Jahren mal mit so einer Netzspinne beglückt, in der jede Strecke schwarz eingezeichnet war. Sydney hatte sowas gar nicht erst, die Linienführung sei ohnehin zu kompliziert). Man kauft sich am Flughafen einen Easy-Pass für eine Woche und fertig: Das Ding wird im Bus beim Einsteigen und bei der Bahn an der Sperre an einen Leser gehalten. Jedenfalls bei den kostenpflichtigen Verkehrsmitteln.

Unterwegs mit Bussen, Bahnen und Ferkeltaxi

Neben „Metrorail“ und „Metrobus“ fährt der „Metromover“: Eine Art Ferkeltaxi, das in luftiger Höhe durch die Innenstadt juckelt und nüscht kostet. Dafür hat es auch keine Sitzplätze, aber prima Aussicht auf das öde Zentrum. Dessen Besichtigung ist von oben allemal besser als in der Hitze zu Fuß. Außerdem fahren in manchen Stadtteilen kostenlose „Trolleys“. Deren Haltestellen fallen aber nicht immer mit denen der Busse zusammen, da ist Fragen angesagt. Das gilt auch für die Linienführung. Aber Fragen ist in den USA ja nie ein Problem, da versucht nach unserer Erfahrung jeder zu helfen. Außerdem geht alles ohnehin sehr gelassen und ungroßstädtisch vor sich: Busse halten auch schon mal mitten auf der Kreuzung an, wenn noch jemand gelaufen kommt.

Abriss eines Hochhauses in Miami Langweilige Neubauten in MiamiIn Miamis Innenstadt kommt das alte Hässliche weg und vermutlich was neues Hässliches hin.

Insbesondere South Beach ist wegen der Art-Deco-Architektur berühmt. Die Gegend wurde wohl Anfang des 20. Jahrhunderts besiedelt, und damals war der Stil angesagt. Irgendwann fing das Ganze an zu verfallen, aber inzwischen ist es wieder sehr schick. An einigen Stellen wird noch renoviert, und wir haben auch komplett entkernte Häuser gesehen, bei denen nur ein paar Eisenträger die Fassade am Zusammenfallen hinderten. Offenbar achtet also irgendjemand auf den Denkmalschutz.

Kitsch soll für Art Deco werben

Lustigerweise zeichnete sich das Art-Deco-Besucherzentrum durch ein Angebot an abscheulichem Kitsch aus, der mit den klaren Formen des Stils überhaupt nichts zu tun hatte. Einen ersten Überblick über die Gegend verschafft eine Fahrt mit einem der Busse entlang der Washington und Collins Street. Für genaueres Betrachten sind die eigenen Füße gefragt, wir haben das in Anbetracht der Hitze nicht allzu sehr ausgedehnt. Zu sehen war trotzdem ein weitgehend einheitliches, harmonisches Stadtbild von beeindruckenden Ausmaßen: South Beach erstreckt sich über rund 200 Blöcke à etwa 150 Meter.

Art-Deco-Fassade in Miami Beach Art-Deco-Fassade in Miami BeachArt-Deco-Häuser sind das Wahrzeichen von Miami Beach

Es geht auch ganz anders, wie Wynwood zeigte. Das Viertel liegt im eigentlichen Miami und ist wegen der zahlreichen Wandmalereien bekannt. Sie befinden sich fast ausschließlich an Gewerbegebäuden, weil dort kaum Wohnhäuser stehen. Die Gegend sieht aus wie eine osteuropäische Stadt nach dem Sozialismus: Es steht zwar was da, aber das ist hässlich und verhauen. Nur die Gemälde reißen Wynwood raus, sowas fehlte in Posen. Wir sind bis kurz vor dem Sonnenstich rumgelaufen und haben (zum Glück schon am Anfang) auch die Galerie Gary Nader besucht.

Die womöglich größte Kunstgalerie westlich des Ural

Nie vorher gehört, ein riesiges Fabrikgebäude; auf dem Parkplatz eine Ausstellung von Botero-Skulpturen. Mag ich nicht; die Teile sind fett, schwarz und zwei bis drei Meter hoch/breit. Innen hingen dann neben Bildern von Botero (die mag ich auch nicht), ein paar Picassos und vor allem die größte Sammlung zeitgenössischer lateinamerikanischer Kunst, die uns in den letzten vier Wochen über den Weg gelaufen war. Da konnten die Museen Miamis nicht mithalten, von Nicaragua ganz zu schweigen. Wir durften alles angucken, obwohl klar war, dass sie uns nichts verkaufen würden. Sogar die erste Etage wurde geöffnet, beleuchtet und mit einem Aufpasser bespielt. Ach, war das schön.

Und wie schon in Polen frage ich mich, warum wir diese Künstler nicht kennen (abgesehen von Botero). Könnte man in Berlin nicht auch mal Maler ausstellen, die nicht so verfolgt wie AiWeiWei oder so tot wie van Gogh sind? Gebäude des Taschen-Verlags in MiamiIn dem schiefen Gebäude links, das Familie Taschen bauen ließ, befinden sich üblich in der ersten bis sechsten Etage Parkdecks. Ganz oben ein privates Apartment, unten unter anderem ein Buchladen des Taschen-Verlags.

Ja, wir waren auch shoppen. Das geht in den USA bekanntlich gut, weil jeder gerne was verkaufen will. Noch besser geht es, weil man unablässig irgendwelche Rabatte bekommt. In der Aventura Mall waren es 20 Prozent für Ausländer (eine Hose war sogar gratis, weil der Kassierer das Scannen vergessen hatte). Zwei Tage später bei Macy’s wieder 20 Prozent, weil Donnerstag war oder so – für Ausländersein hätte es da nur die Hälfte gegeben. Obwohl es vielen Deutschen nicht so leicht fällt, lohnt sich also das Fragen nach einem „discount“.