Bagrati kathedrale in kutaisi

Kutaisi und das amputierte Gürteltier

27.9.2016

Fliegen ist ja reichlich unspektakulär geworden. Es gibt aber Ausnahmen, wie gerade bei der Ankunft in Kutaisi erlebt: Die örtliche Feuerwehr bespritzte unsere Maschine mit reichlich Wasser, und trotz ruckzuck hingestellter Treppe (ach, Tegel…) durften wir nicht aussteigen. Denn erst musste draußen alles aufgebaut und die Reihe der Honoratioren geordnet sein. Bevor wir dann ins Gebäude konnten, gab es eine Volkstanzdarbietung unterm Vordach (die Tänzer – wir standen derweil im strömenden Regen). Endlich im Trockenen, bekam jeder Passagier ein Fläschchen Weißwein halbtrocken und eine Wurst, die sich später als Süßigkeit herausstellte. Dazu laute Mucke und Akrobaten auf Stelzen. So geht es hier zu, wenn der erste Direktflug aus Berlin landet.

Volkstanzdarbietung am Flughafen Kutaisi anlässlich des ersten Direktflugs aus Berlin
Großer Bahnhof für die Passagiere des ersten Direktflugs Berlin – Kutaisi

Ungebändigter Gestaltungswille

Ein prima Einstieg also für uns in Georgien. Das Hotel demonstrierte gleich anschließend, welch Gestaltungswille sich hier Bahn bricht, wenn man ihn lässt: Spiegel im ganzen Haus, ständig kommt man sich selbst entgegen. Marmor im Treppenhaus und im Bad, dort in Form von halbmeter großen braunen Fliesen, rund fünf Zentimeter dick, mit eingefrästen Wellen. Über dem runden Bett eine Stuckrosette, die auf Wunsch grün leuchtet; gegenüber vom Bett eine Fototapete (Südsee oder so). Neben dem Bett statt eines Nachttischs zwei fast mannshohe Vasen aus hellbraunem (Nuance Cholera) Glas, darin sehr falsche rote und gelbe Rosen. Schlafzimmer mit rundem Bett im Hotel. Kutaisi Geld scheint bei der Gestaltung deutlich mehr Einfluss gehabt zu haben als Geschmack. Das Ganze spielt sich in einem Bürgerhaus aus dem 19.Jahrhundert ab, das angeblich einem georgischen Dichter gehört hat. Die Hoteliers sind freundlich, trotz der Verständigungsschwierigkeiten: Unser marginales Russisch und das kaum bessere Englisch der Gegenseite führen zwangsläufig zu Pantomimen als letztem Ausweg. Nicht nur im Hotel, sondern auch zum Beispiel beim Kauf eines Eisenbahntickets. Da schauspielerte ein Security-Mann „schlafen“, um uns den Nachtzug nach Tbilisi nahezulegen.

Vom Frühstück satt bis zum Nachmittag

Wer abnehmen oder auch nur sein Gewicht halten will, ist in Georgien falsch. Schon unter dem Frühstück biegt sich der Resopaltisch, und bis zum Nachmittag stellt sich danach kein Hunger mehr ein. Man bekommt Omelett, Fladenbrot, Schafskäse, Tomaten, Gurken (richtige, nicht diese andere Daseinsform von Wasser), Würstchen, Marmelade, Gebäck und saure Sahne. Was man mit der anstellen soll, ist uns nicht ganz klar, jedenfalls passt sie zu den Gurken. Hergestellt und serviert wird alles von den Damen des Hauses – die Männer sind mit Rumsitzen, Rauchen, Quatschen und Wichtiggucken so beschäftigt, dass für anderes keine Zeit bleibt. Beim Hinstellen des Essens gilt offenbar in Georgien ein Schweigegebot: Egal ob Hotel oder Restaurant, frau sagt gar nix. Nur der Gesichtsausdruck ist unterschiedlich. Mal gelangweilt, mal desinteressiert, beleidigt, schüchtern… Vielleicht hat das religiöse Gründe? Das Verhalten fiel jedenfalls nicht nur uns auf, auch ein junges bulgarisches Paar fand es ungewöhnlich.

Vielleicht ist das Schweigen auch nur Ausdruck von Ehrfurcht angesichts der Arbeit der Köchin. Denn was wir bisher zu essen bekommen haben, war fast durchweg nicht nur normal lecker, sondern richtig prima, nachgerade schmackofatz.

Essen und Heiraten: zwei georgische Leidenschaften

Kein Wunder, dass Georgier viel essen, wie der Hotelier meinte. Walnüsse und Granatapfel sind beliebt, und die mit Walnüssen gefüllten Auberginenscheiben waren schlicht genial. Sogar die doch schon ziemlich abgenudelten gefüllten Weinblätter schmecken hier wieder neu und anders. Schade nur, dass wir mehr als drei Gerichte beim besten Willen nicht zu einer Mahlzeit probieren können.

Brautpaar in der Kirche"
Beim Heiraten kommt es vor allem auf die richtigen Fotos an.

Eine andere georgische Leidenschaft neben dem Essen ist offenbar das Heiraten. Samstag und Sonntag hupte sich ein Mini-Konvoi nach dem anderen durch Kutaisi. Und beim Besuch eines nahen Klosters konnten wir innerhalb von zwanzig Minuten mindestens zwei Eheschließungen erleben. Wobei das wohl in der georgischen orthodoxen Kirche eine Self-Service-Veranstaltung ist: Der Pope befindet sich irgendwie in der Nähe, macht aber nichts. Es wird auch niemand aufgefordert, „ja„ oder „ich will“ oder so was zu sagen. Entscheidend für das Gelingen ist anscheinend in erster Linie die Anzahl der anwesenden Fotografen, ihr Equipment und ihre Aktivität. Die Jungs springen ohn Unterlass um das Brautpaar herum, dirigieren es hierhin und dorthin und geben allerlei Anweisungen. Um den Moment festzuhalten, kommen umgedrehte Selfie-Sticks ebenso zum Einsatz wie meterlange Teleobjektiv und Drohnen. Letztere allerdings bislang nur außerhalb der Kirche, was ein bisschen schade ist.

Filmen, filmen, filmen – egal was

Was jedoch dieser entscheidende, für die Nachwelt zu bewahrende Moment ist, hat sich uns nicht erschlossen. Jeder Beteiligte bekreuzigt sich (gerne auch mehrmals) und küsst bei Bedarf einen Türstock oder eine Ikone, Braut und Bräutigam zünden je eine (sehr kleine) Kerze an – aber nix mit Ringe tauschen oder sich küssen oder gar gesegnet werden. Und glücklich wirkten die paar Paare, die wir gesehen haben, auch nicht. Eher ängstlich, ob sie denn wohl alles richtig machen.

Religion ist hier jedenfalls ganz, ganz wichtig und offenbar auch total klasse. Passiert der Bus eine Kirche, bekreuzigen sich zwei Drittel der Fahrgäste. Da diese Gebäude großzügig über die Stadt verteilt sind, dürften Gläubige aus dem Kreuzschlagen gar nicht mehr heraus kommen. An jeder dritten Ecke bieten fliegende Ikonenhändler ihre Bildchen an, und für den gehobenen Bedarf stehen stationäre Verkäufer bereit, bei denen man auch Kerzen und Kreuze in diversen Größen bekommt. Die kleine Ikone für zwischendurch erhält man bei mobilen Anbietern, die den Segenspender in einem hosentaschentauglichen Format im Bauchladen präsentieren.

Traditionelle georgische Häuser in Kutaisi
Traditionelle Häuser in Kutaisi am Rioni

Angesichts dessen ist klar, dass Kirchen und Klöster die wichtigsten Sehenswürdigkeiten sind. Da man sie heute noch so baut wie vor tausend Jahren, sind sie in jedem Fall leicht zu erkennen. Innen hängen sie, wie bei den Orthodoxen üblich, voll mit Ikonen. In den älteren finden sich oft auch Fresken, die gelegentlich erstaunlich modern wirken. Die üppige Dekoration mit goldenen Leuchtern und anderem Edelmetall wie in Bulgarien und Serbien fehlt hier aber. Bei Kutaisi liegt eines der ältesten georgischen Klöster, Gelati, das zurzeit intensiv restauriert wird. Wir fanden es nicht so aufregend, eher das in der Nähe (knapp zwei Stunden zu Fuß) gelegene Motsameta. Es sitzt spektakulär auf einer Felszunge hoch über dem mäandrierenden Fluss und wird vor allem von Einheimischen besucht.

Seilbahn über den Fluss Rioni in Kutaisi
Bei gutem Wetter bringt die Seilbahn Besucher über den Rioni zum Vergnügungspark.

Museen in Kutaisi: Viele, aber planlos

Mit Museen ist Kutaisi auch gut versorgt. Die für Sport und militärischen Ruhm haben wir uns gespart, bei dem zweiten dürften schon die Plaketten an der Fassade einen hinreichenden Eindruck vermittelt haben: heldenhafte Rotarmisten, leidende aber mutige Frauen… Plakette mit Soldaten am Museum in Kutaisi Im Museum für Nationalgeschichte ging es mit der Steinzeit los, für allzu detailreiche Schilderungen der Entwicklung bis heute war in dem einen Raum kein Platz. Immerhin gab es zu jedem Exponat eine englische Kurzbeschriftung. Ebenso in der Galerie für moderne Kunst, wo die Hälfte der Gemälde allerdings ganz ohne jede Erläuterung auf dem Boden stand.

Gänzlich ohne Text standen auch die rund zwanzig historischen Bilder im Fotomuseum herum. Da arbeiteten gefühlt acht Leute, von denen niemand etwas zu tun hatte (freier Eintritt, also nicht mal Karten waren zu verkaufen). Das erinnerte sehr an die guten alten Zeiten, als zwar viel Geld in Kultur floss, aber die Ergebnisse nicht interessierten. Getreu dem Dictum „Ihr tut so, als ob Ihr uns bezahlt, und wir tun so, als ob wir arbeiten.“ Auch aus den alten Zeiten stammt die kleine Seilbahn, die über den Rioni-Fluss auf einen Berg mit kleinem Vergnügungspark juckelt. Riesenrad, Karussell, alles da, aber leider kaum Besucher.

Neues, kaum genutztes Parlamentsgebäude in Kutais
Das neue Parlament am Stadtrand steht meistens leer.

Dass man gerne sehr modern wäre, zeigt das neue Parlament am Rand der Stadt, gegenüber von vor sich hin gammelnden Wohnblocks. Es sieht aus wie ein schwanzloses Gürteltier aus Glas und Beton. Die Platten auf dem ewig langen Fußweg zum Eingang zerbröseln schon, und aus den Treppenfugen des benachbarten Government House sprießt das Unkraut. Wir durften nicht rein ins Parlament, und die Abgeordneten wollten nicht. Weshalb sie jetzt fast nur noch in der Hauptstadt Tbilisi tagen und das amputierte Gürteltier meistens leer steht.

Raus aus Kutaisi

Museen und Kirchen stehen überall, in Georgien soll jedoch die Natur außergewöhnlich sein. Also ließen wir uns vom Hotel einen Taxifahrer für einen Ausflug ins Naturschutzgebiet und zur Prometheus-Höhle organisieren. Wir sagten, wo es hingehen sollte, er nannte den Preis, alles gut. Nur, dass der Chauffeur nach der Höhle den Job für erledigt hielt, noch mehr Natur wollte er nur gegen einen Aufpreis liefern. Angesichts der schwierigen Verständigung haben wir es dann gelassen. Ob all dem ein Missverständnis oder eigenartiges Geschäftsgebaren zu Grunde liegt – keine Ahnung, aber zumindest weitere Missverständnisse werden wir zu vermeiden versuchen. Immerhin konnten wir den Taxista überreden, eine halbe Stunde in einem ehemaligen sowjetischen Kurort zu stoppen. Dort liegen in einem riesigen Park ganz- und halbverfallene Kurhäuser neben schick restaurierten und neu gebauten. Der Ort scheint sich in einem Schwebezustand zwischen Aufbruch und Untergang zu befinden.

Ruinen im früheren georgischen Kurort Tskaltubo
Im ehemaligen Kurort Tskaltubo verfallen alte Gebäude…
Neues Hotel in Tskaltubo
…und daneben werden neue gebaut.

Zur Prometheus-Höhle gibt es nicht viel zu sagen: sehr großer Hohlraum (1,4 Kilometer zu Fuß) mit Tropfsteinen und mehreren „Sälen“, die nach Medea oder Liebe heißen. Wie die Führerin klarstellte, sind das genauso reine Marketingnamen wie der der Höhle selbst. Weder Medea noch Prometheus waren jemals hier, aber im Saal der Liebe kann man heiraten. Das Innere der Höhle wird „stimmungsvoll“ beleuchtet, die Technik dafür lieferten deutsche Firmen. Weshalb alles schon seit fünf Jahren funktioniert, laut Führerin.

Stalaktiten in der Prometheus-Höhle nahe Kutaisi
Stalaktiten in der Prometheus-Höhle, deutsch beleuchtet.

Von hier wird uns der Zug ins 200 Kilometer entfernten Tbilisi bringen, in gut fünf Stunden. Genug Zeit also für das Betrachten der Landschaft.

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