Blick auf die monster kathedrale von tbilisi

Über und unter der Erde in Tbilisi

2.10.2016

In Georgiens zweitgrößter Stadt Kutaisi fragten wir uns nach einigen Tagen, warum alle Besucher so begeistert von dem Land sind. In der Hauptstadt Tbilisi lässt sich das leichter verstehen. Sie liegt in einem tief eingeschnittenen Flusstal, auf den Hängen stehen malerisch Kirchen oder Burgreste und am Ufer befindet sich in 1a-Lage ein großer Park mit eigenartig futuristischen Gebäuden. Denkmal „Mutter Georgien“ in Tbilissi In der Stadt tobt ein Leben, das in Kutaisi eher gemächlich plätschert. Hier drängen sich Einheimische und Touristen aus allen möglichen Ecken der Welt (Israel, Libanon, Kanada, Polen, Russland, Armenien, Holland, USA…) durch die engen Straßen. Restaurants, Bars, Hotels und Geschäfte gibt es in rauhen Mengen, und immer spricht jemand Englisch oder gar Deutsch. Zwei Metrolinien und zwei Seilbahnen erleichtern die Fortbewegung, dazu kommen zig Busse. Die allerdings bringen Touristen nicht viel, da das Liniennetz nicht allgemein zugänglich ist.

Außerdem gibt es zwei Systeme mit sich überlappenden Nummern: größere Stadtbusse und die kleinen Marschrutkas. Deren Linienführung ist völlig undurchsichtig und Erkundigungen kaum zugänglich: Unsere Rezeptionistin etwa kennt sich mit dem System nicht aus, da sie Auto fährt. Jedenfalls kann man alle Verkehrsmittel mit einer aufladbaren Karte benutzen, und die Preise sind ein Witz. Hallo, BVG? Eine U-Bahn-Fahrt kostet 20 Cent, der Bus ist noch etwas billiger. Allerdings zahlt man jede Fahrt extra, nix mit umsteigen.

Steile und lange Rolltreppe in der U-Bahn von Tbilisi
Im Eiltempo schaufeln Rolltreppen die Fahrgäste in Georgiens Hauptstadt nach unten und oben.

Wie in Moskau: U-Bahn tief unter der Erde und rasante Rolltreppen

Noch aus sowjetischer Zeit stammt die Metro: extra tief unter der Erde, schnell, laut, rumpelig und ohne Griffe an den Türen. Die Rolltreppen haben um die 650 Stufen (muss man nicht zählen, jede fünfte ist nummeriert), also liegt der Bahnsteig gut 60 Meter unter der Erdoberfläche. Die Fahrt nach oben oder unten dauert etwa zwei Minuten, und vielen ist das zum Stehen zu lange, sie legen die Fahrt sitzend zurück. Die hiesigen Rolltreppen schaffen über drei Kilometer pro Stunde; in der EU sind maximal 2,7 erlaubt, aber der deutsche Produzent Kone empfiehlt weniger. Das Auf- und Abspringen erfordert spürbar mehr Konzentration und Tempo als bei uns. Wie früher sitzen am Fuß der Rolltreppen Damen in einem Häuschen und tun erkennbar nichts, gelegentlich halten sie ein Nickerchen. Was ihre Funktion sein könnte – keine Ahnung. Aber wenigstens haben sie einen Job.

Dame beim Bewachen einer Rolltreppe. Tbilisi/U-Bahn
Am Ende der Rolltreppen passen Damen auf. Aber worauf?

Erdbebenspuren an vielen Gebäuden

Überall in der Stadt sieht man die Folgen der Erdbeben von 2002 und 2009; um die Ecke von unserem Hotel steht von einer Kirche nur noch der Chor. Auch ohne Erdbeben sind viele alte Häuser in einem erbarmungswürdigen Zustand: bröselnder Putz, alte absackende Balkone, Leerstand. Daneben entstehen schicke neue Gebäude, manche alte werden renoviert und etliche Bauvorhaben sind irgendwann steckengeblieben.

Haus mit Erdbebenschaden, Tbilisi
Viele alte Häuser in Tbilisi zeigen noch Schäden der Erdbeben von 2002 und 2009.

Angestaubte und moderne zeitgenössische Kunst

Klarerweise ist die Hauptstadt auch ein kulturelles Zentrum und bietet ein Museum of Modern Art (nennt sich original so), ein Kunst- und Nationalmuseum und eine Nationalgalerie. Das hört sich nicht nur verwirrend an, sondern ist es auch. Das hiesige MoMA stellt dauerhaft die Werke von Zurab Tsereteli aus, der schon seit Ewigkeiten ein führender georgischer Maler und Bildhauer ist. In sozialistischer Zeit hast er ganz gute Bilder gemalt, seitdem jedoch nur noch pseudo-naive, sehr bunte Schinken mit folkloristischen Motiven. Und überlebensgroße uninspirierte Skulpturen, gerne von Wehrlosen wie Picasso, Chagall und Kandinsky. Oder von unschuldigen Tieren. Saal um Saal mit diesem Kram, und man fragt sich, wo denn nun die moderne Kunst ist.

Frau mit Sonnenblumen. Gemälde von Tsereteli
Zeitgenössische Kunst im Sinne von Tsereteli, gemalt nach 1991.

Nicht in der Nationalgalerie jedenfalls. Die zeigt fast sämtliche Gemälde von dem hier sehr bekannten „naiven“ Pirosmani, der eigentlich wenig naiv gemalt hat, und von anderen sehenswerten Kollegen – aber die haben den Pinsel alle schon vor Jahrzehnten für immer hingelegt. Das Kunstmuseum wiederum beglückt die Besucher mit einer Schau aktueller iranischer Mode (lustige Schuhe, neben eher auf Verhüllung konzentrierten Kleidern) und eines zurecht unbekannten Malers.

Ein Fischer. Gemälde von Pirosmani
Georgiens berühmtester Maler Pirosmani hat diesen Fischer abgebildet.

Reichlich enttäuscht, kamen wir zufällig an der Galerie Vanda vorbei. Die Tür stand offen, und Mitbesitzer Alexander zeigte uns über eine Stunde lang nicht nur die kommende Ausstellung, sondern auch einen Querschnitt aktueller georgischen Malerei. Anschließend lud er uns zur Vernissage einer in Deutschland lebenden Georgierin am nächsten Abend ein, wo der Wein in Strömen floss und er noch mehr über Georgien, Politik und Kunst erzählte. Galeriebesuche erweisen sich immer wieder als gute Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen und etwas über das Land zu erfahren.

In der schwefligen Brühe eines Badehauses von Tbilisi

Seit ein paar Jahrhunderten sprudelt in Tbilisi eine Quelle mit schwefelhaltigem heißen Wasser. Und fast genauso lange gehen die Bewohner der Stadt in Badehäuser, um sich den gesunden (?) Dämpfen und der Wärme auszusetzen. Außerdem kann man sich dort durchwalken lassen, was die Reiseführer als recht drastische Prozedur beschreiben, die vor allem schwergewichtige Frauen durchführen. Es gibt diese Badehäuser in zwei Ausführungen: öffentlich, wo größere Menschenmengen sich in einem Becken aufhalten, und private, wo man einen Raum mit kleinem Becken für ein bis zehn Leute mietet. Wir probierten das zweite aus, da die öffentlichen Einrichtungen wohl vor allem als Informations- und Kontaktbörse für Einheimische fungieren.

Eingang zu einem Badehaus. Tbilis
Das private Badehaus No. 11. Auf Georgisch heißt es „Abano“.

Einen Platz in so einem privaten Badehaus zu finden, war gar nicht einfach: In den ersten beiden ignorierte man uns, im dritten hätten wir nur noch eine Vip-Kabine für knapp 100€ pro Stunde mieten können. Erst im vierten, weniger zentral gelegenen Haus war noch was frei und das Personal an Kundschaft interessiert. Die Kabine bestand aus einem Vorraum zum Aus- und Anziehen mit einem etwas desolaten Sofa und ohne Schrank oder Haken sowie dem eigentlichen Bade-Zimmer. Da durften wir erst zehn Minuten in der Lake durchziehen, bis der Masseur kam. Der rubbelte uns gründlich von vorne und hinten mit einem rauen Handschuh ab („Peeling“), gewährte dann noch mal zehn Minuten Einweichen und vollführte schließlich eine recht sanfte Massage mit Seife anstelle von Öl. Lustig, vor allem weil sich das häufig anfühlte, als zappele ein großer Fisch auf Brust oder Rücken herum. Danach noch mal kurz in die warme Brühe und raus, solange der Kreislauf noch funktionierte. Sehr schön, sehr rustikal. Und die Badebekleidung hatten wir ganz unnötig mitgenommen, denn im sonst so konservativen Georgien lässt man sich nackt massieren.

Firmen im Wahrscheinlichkeitsraum

In Tbilisi gibt es auch Autovermietungen und Touranbieter, jedenfalls im Prinzip. Im Einzelfall kann es dann durchaus sein, dass eine solche Firma wie Schrödingers Katze nur im Ungewissen existiert. Angesichts der schwierigen Transportsituation wollten wir ein Auto mieten, natürlich bei einem lokalen Anbieter, weil die großen Ketten ja bäh sind (und teuer). Solche Firmen scheint es auch zu geben, jedenfalls machen sie auf Autodächern Werbung mit ihrer Telefonnummer und Website. Auf der Website stehen Preise, Modelle und eine Adresse, die es tatsächlich gibt. In dem Haus teilen sich mehrere Unternehmen eine Etage; ein Schild erklärt auf Georgisch, welches hinter welcher Tür sitzt. Irgendwann hatten wir das auch begriffen, aber die Tür war abgeschlossen. Kein Problem, die Rezeptionsdame drückte uns hilfsbereit die Visitenkarte in die Hand – mit Telefonnummer und Website. Irgendwas läuft hier noch nicht ganz rund, wir kehrten reumütig zu Sixt zurück. Die haben nicht nur eine Website, sondern auch ein mit zwei Damen besetztes Büro um die Ecke vom Hotel.

Blick auf das Zentrum von Tbilisi von oben
Das Zentrum von Tbilisi wirkt wie eine Ausstellung moderner Architektur. Im Vordergrund die Friedensbrücke, die Schläuche stehen leer.

Lieber selbst fahren als irgendwann ankommen

Wieso „schwierige Transportsituation“? Man kommt sicherlich in Georgien von A nach B. Nur nicht unbedingt einfach, direkt und schnell. In Tbilisi fahren Überlandbusse von mindestens zwei Stellen los, es gilt also die richtige anzusteuern. Es verkehren mit einer Ausnahme keine Reisebusse, sondern „Marschrutkas“. Das sind 9- bis 15-Sitzer von Ford oder Mercedes. Einen Fahrplan im klassischen Sinn kennen sie nicht, sondern nur angedeutete Abfahrtzeiten. Ist das Auto früher voll, fährt es früher ab. Sonst pünktlich oder später. Inner-georgischer Flugverkehr lohnt wegen der geringen Entfernungen und Einkommen vermutlich nicht, und Züge… sind spottbillig, langsam und pünktlich, aber fahren nur selten und längst nicht überall hin. Wer eine Fahrkarte kauft, muss Pass oder Personalausweis vorlegen. Angeblich wird der Name auf dem Ticket eingetragen, und wenn er nicht zum Ausweis passt, darf man nicht mitfahren. Bei uns warf der Kontrolleur nur einen desinteressierten Blick auf den Zettel und fragte nicht nach der Identität. Jedenfalls kostet es viel Zeit und Nerven, passende Verbindungen zu finden, und manche Ziele lassen sich nur mit Umsteigen erreichen. Deshalb lieber selbst fahren.

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