Kirche salvador altstadt nachts

Salvador: endlich eine Stadt

22.10.2017

Nach Brasilia ist das alte, bunte Salvador ein krasser Kulturschock. Im positiven Sinne. Wir haben uns in der Altstadt oben auf dem Berg einquartiert, in einem ehemaligen Karmeliter(innen?)-Kloster. Sehr stilvoll, sehr angenehm, aber das Zimmer ein wenig dunkel und modrig riechend. Wie es sich vermutlich gehört für ein Kloster. Ringsum Häuser aus der Kolonialzeit, die meisten schon mal renoviert (und manche wieder auf dem Weg in den Verfall), einige kurz vor dem Zusammenbruch. Unten in der Neustadt gibt es sogar Straßen mit Bäumen, quasi Alleen. Jedenfalls haben wir eine davon gesehen und sehr genossen.

Kathedrale in Salvador
An der Kathedrale von Salvador de Bahia wird noch gearbeitet, anderswo ist die Renovierung abgeschlossen und der Verfall hat wieder begonnen.

Oben lebt man in einer richtigen Stadt mit Läden, Kneipen, Restaurants. Es fahren kaum Autos, weil es zu steil ist, zu holprig und fast allen verboten. Also stellen die Cafés und Restaurants Stühle raus, sodass die Gäste draußen sitzen können. Abends rechts raus aus dem Konvent und über die Straße oder weiter auf derselben Seite, und man stolpert in ein Lokal mit gutem Essen. Nix mit Fleisch auf Fleisch an Fleisch, sondern lecker gebratener Fisch und Risotto und Escabeche und Nachtisch. Ohne trockene Pommes, ohne trockenen Reis, ohne frittierte Maniok und ohne Maniokmehl. Ahh. Geht man zeitig genug schräg gegenüber ins Pysco, findet man noch einen Platz auf der Terrasse mit Blick über die verfallenen Hafenanlagen aufs Meer.

Gasse in der Altstadt von Salvador
Wo kaum Autos fahren, florieren Cafés, Restaurants und Geschäfte.

Zweiundsiebzig Höhenmeter für 4 Cent

Nach links guckend, sieht man den Turm des über 100 Jahre alten Aufzugs, der Ober- und Unterstadt verbindet. 24 Stunden täglich fahren die vier Lifts. Zum Glück sind sie schnell, und eine Aufzugführerin (oder ein -führer) erledigt die schwierige Aufgabe, den richtigen Knopf zu betätigen. Der Spaß kostet 0,15 BRL, das sind rund 4 Euro-Cent. Unten angekommen, steht man fast direkt vor dem “ „Mercado Modelo“. Dort wird alles verkauft, was Touristen gefallen könnte, und in der ersten Etage bewirtschaften zwei konkurrierende Restaurants einen riesigen Saal mit Veranda.

Elevador Lacerda, Salvador
In einer halben Minute transportiert der „Elevador Lacerda“ Fahrgäste zwischen Ober- und Unterstadt von Salvador.

Von ihr aus fällt der Blick aufs Meer, und es ist alles, wie es sein soll. Sie fungiert auch als eine Art Freiluftbühne für die vielen Brasilianer, die mal schnell ein Selfie vor Meer von sich schießen lassen. Paare und größere Gruppen engagieren gerne eine Servicekraft, um sich auf einem Fremdie vor der Kulisse verewigen zu lassen.

Kellnerin fotografiert Gäste
Ist der Arm für ein Selfie zu kurz, muss das Personal ran und ein Fremdie machen.

Unten ist Salvador fast eine normale brasilianische Stadt, mit dem Unterschied, dass es auch wie eine Stadt wirkt und nicht wie eine Ansammlung zufällig fallen gelassener Gebäude ohne irgendeinen Zusammenhang. Oben kultiviert es die Kolonialzeit, nicht nur mit den restaurierten alten Gebäuden. Sondern auch mit schwarzen Frauen, die in historischen Kostümen für Fotos posieren oder so ausstaffiert in Restaurants bedienen – immer nur Frauen. Vermutlich hatten die männlichen Sklaven seinerzeit nicht ganz so pittoreske Klamotten bei der Feldarbeit an? Obwohl, Publikum für halbnackte muskulöse Kerle in zerrissenen Hosen gäbe es schon. Genau wie für das Michael-Jackson-Video, das jedes zweite Geschäft in Dauerschleife laufen lässt. Es wurde in Salvador aufgenommen und verhalf der Band „Olodum“ zu einiger Berühmtheit.

Samba-Trommler üben für den Karneval. Salvador, Altstadt
Im Oktober beginnen schon die ersten Samba-Gruppen mit dem Training für den Karneval.

Salvador war nicht nur die erste Hauptstadt Brasiliens, sondern auch einer der Schwerpunkte des Sklavenhandels. Dessen Geschichte wird durchaus kritisch thematisiert, nicht nur in Salvador, sondern auch im afro-brasilianischen Museum in Sao Paulo. Und in Salvadors “Casa de Benin”, wo es allerdings vor allem um die afrikanische Kunst und Kultur ging. Das Zurschaustellen schwarzer Frauen in Kleidung aus der Zeit der Sklaverei wirkt in diesem Zusammenhang eigenartig. Reiseführer finden das alles pittoresk, authentisch et cetera. Vielleicht ist es das, aber es bleibt ein ungutes Gefühl.

Wo Mitarbeiter fehlen und Wachleute rumstehen

Nominell verkehrt die U-Bahn auf zwei Linien. An einer wurde 14 Jahre lang gebaut, bis sie dann 2014 zur Fußball-WM ein bisschen fertig war. Und da meckern die Leute immer über den Berliner Flughafen. Wir wollten das gute Stück einmal benutzen, scheiterten aber daran, den Eingang zu finden. Die Schilder führten immer nur zu

Baumbestandene Straße in Salvador
An der Straße des 7. September stehen nicht nur Bäume, sondern auch einige manchmal geöffnete Museen.
irgendwelchen Busbahnsteigen oder im Kreis. Also wieder Bus, damit haben wir ja schon Erfahrung. Die eine oder andere Linie hält in der Nähe von interessanten Museen. So ist das Hinkommen kein Problem. Das Reinkommen aber schon. Denn die offiziellen Öffnungszeiten sind eher Ausdruck von Wunsch als von Realität. Sonntags hatten zwei von zwei Ausstellungsstätten geschlossen, weil „funcionarios” fehlten. Das ist natürlich möglich, aber gleichzeitig stehen überall untätige Wachleute wichtig herum. Die könnten doch auch im Museum herumlungern und so tun, als seien sie „funcionarios”.

Kommt man mal rein, weil gerade genügend „funcionarios“ vor Ort sind, bleibt der Besuch oft unterwältigend. In Brasilien scheint man immer zu viel Platz für zu wenig Objekte zu haben. Und häufig auch nicht so recht einen Plan, was man eigentlich wie zeigen will. Das Museum do Arte in Salvador etwa bestand zu mindestens 40 Prozent aus Mobiliar, dazu kam eine üppige Ausstellung portugiesischen Porzellans. Wer’s mag… Nur mit der Kunst, die man in einem Kunstmuseum erwarten würde, sah es etwas mau aus.

Geldhäuser schmücken sich mit Kunst

Ganz anders hingegen in den Kulturzentren der Banken „Caixa“ oder „Banco do Brasil“. Meistens gratis, wie die staatlichen Museen auch. Aber bei den Bankern gibt es immer was Interessantes zu sehen, häufig sogar zweisprachig präsentiert. Womöglich erklärt sich der Unterschied zwischen der staatlich und der privat präsentierten Kunst einfach daraus, dass die einen eben sehr, sehr viel Geld haben. Und die anderen ihr Geld lieber für Dinge wie Olympiastadien ausgeben.

Neben diesen offiziellen Kunst-Präsentationen zeigen Aktivisten überall in Brasilien inoffizielle Werke auf Mauern, Pfeilern und Häuserwänden. Salvador hat eine besonders aktive Streetart-Szene, die manchmal auch offiziell gefördert wird.

Überbordende Emotionen zum Vaterunser

Beifall im Gottesdienst, Kirche in Salvador Unterschiede zwischen Süden und Norden scheint es auch in der Mentalität zu geben. Zumindest erklärte uns ein Galerist, die Leute im Norden seien offener und herzlicher. Angesichts spärlicher Sprachkenntnisse bei uns (Portugiesisch) und auf der Gegenseite (Englisch) können wir das nicht wirklich bestätigen. Aber es blieb doch der Eindruck, dass die Nordlichter hier entspannter mit Fremden umgehen und weniger vorsichtig. Zumindest haben uns hier schon Kellner veralbert, ein Museumsmensch einen halben Vormittag seine Ausstellung und alles mögliche andere erklärt und ein Künstler seine Bilder erläutert – das ist uns im Süden so nicht passiert. In der Kirche geht es hier auch unterhaltsam zu, mit rhythmischem Klatschen zum Gesang, Beifall zur Bibelstelle und gegenseitigem Händeschütteln plus Umarmung auf Aufforderung des Pastors. Wir sind schnell gegangen, bevor sie versucht haben, uns zu adoptieren.

Jetzt ist bald Schluss in Brasilien. Nach Salvador kommt noch Recife, vor allem zum Abhängen. Und dann geht es von 28 Grad real und gefühlten 38 zurück in den Berliner Herbst.

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