Paraty bei nacht

Chillen in der Kolonialzeit: Paraty

25.9.2017

Von Rio de Janeiro aus ging es mit dem Leihwagen an der Costa Verde Richtung Westen nach Paraty.
Vor dem Selbstfahren hatte der Reiseführer länglich gewarnt, Brasilianer führen wild und gewagt, für Europäer sei das nichts. Auch eine französische Familie , die die Tour schon hinter sich hatte, riet in Rio von der Fahrt ab. Vielleicht haben wir eine andere Strecke erwischt oder die wilden Brasilianer machten an dem Tag andere Straßen unsicher, für uns waren die knapp 300 Kilometer jedenfalls das reine Vergnügen. Außerhalb von Rio, versteht sich – eine Stunde dauerte es alleine, aus dessen dichtem Verkehr raus zu kommen.

Danach führte die Strecke über dicht bewaldete Berge mal näher, mal weiter weg an der Küste entlang. Die Dörfer luden nicht unbedingt zum Anhalten ein, da baut jeder wie er will, aber keiner mal einen Bürgersteig. Sogar ein direkt am Meer gelegener Ort wirkte wie eine zufällig hingestreute Ansammlung von Häusern, keine Strandbar, nichts.

Abhängen am alten Goldgräber-Weg

Ganz anders dagegen das Ziel Paraty; wirklich kein Geheimtipp mehr, nachdem Süddeutsche und Guardian darüber berichteten. Aber dann doch überraschend wunderbar, entspannend und, wie Angelsachsen sagen würden, „laid back“. Der Ort war mal eine der wichtigsten Hafenstädte Brasiliens, als in den Bergen noch Gold geschürft wurde. Das wanderte über den „Caminho de Ouro“ nach Paraty, was ein beschwerliches Unterfangen gewesen sein dürfte. Aber den portugiesischen Königen war es wichtig, das Gold möglichst schnell nach Hause zu bekommen, weshalb es den kürzesten und sehr steilen Weg nehmen musste.

Leere Gasse in Paraty, Vorsaison
Leer ist es hier vor allem wochentags in der Vorsaison.

Die gesamte Altstadt ist im Kolonialstil erhalten (oder wenigstens perfekt restauriert). Brutales Kopfsteinpflaster, das sich durchaus mit dem in Plovdivs Altstadt messen kann, würde den Autoverkehr massiv behindern. Gäbe es überhaupt welchen, denn in Paraty hält man alles Motorisierte konsequent draußen. Früher sollen die Straßen sogar einen Meter tiefer gelegen haben und zumindest bei Flut mit Wasser gefüllt gewesen sein. Diesen Venedig-Effekt gibt es heute nur noch in der Nähe des Hafens zu sehen.

Überflutete Gasse am Hafen von Paraty
Straßen in der Nähe des Hafens von Paraty stehe heute noch bei Flut unter Wasser.

Fußgänger spazieren unbehelligt von Autos

Statt einer Autoschlange spazieren Touristen und Einheimische durch die Gassen, an einigen Ecken verkaufen Händler von Karren sehr, sehr süße Süßigkeiten. Alles ist entschleunigt, weil sich auch Fußgänger auf dem Kopfsteinpflaster nur langsam fortbewegen können, wollen sie nicht ihre Knöchel riskieren. Das Ensemble erinnert an Ecken wie die Altstadt von Antalya, Vinhales und Trinidad in Kuba oder Granada in Nicaragua: Kein Verkehr, dafür Platz für Bewohner und Touristen. Das ist nicht frei von Disneyland, trotzdem fühlten wir uns wohl. Und es könnte ein Vorbild für Ouro Preto und Petrópolis sein.

Platz und Ruhe haben wir vermutlich auch, weil in der Vorsaison – hier hat gerade der Frühling begonnen – noch wenig los ist, zumal unter der Woche. Freitag nachmittag füllte sich das Städtchen schon deutlich, und das gab einen Vorgeschmack auf die Hochsaison. Da dürften sich die Menschen dicht an dicht durch die Gassen, Läden und Restaurants schieben, wenig Chancen also für entspanntes Abhängen. So aber konnten wir abends noch am alten Hafen sitzen und in Ruhe Bier wegtrinken, nur gestört von der lautstark in schlechtem Englisch und noch schlechterem Portugiesisch sich über ihren Kühlschrank beklagenden Deutschen.

Strandbar mit Hund in Paraty, abends
Einen kleinen Strand mit Bars gibt es in Paraty auch.

Sogar das Essen war besser in Paraty

Paraty versöhnte uns auch etwas mit der brasilianischen Küche. Erstmals fanden wir auf den Menüs nicht nur Fleisch an Fleisch auf Fleisch, sondern es gab unter anderem eine leckere dicke Fischsuppe mit Kokosmilch, Krabben und tatsächlich ein wenig Gemüse drin. Anderntags ein relativ vitaminreiches Kilo-Büffet, dann mal brasilianisch interpretiertes Osso Buco und Lammkoteletts. Und: Die Kellner sprachen nicht nur Portugiesisch, sondern auch Englisch, einer gar noch Spanisch und Französisch dazu. Der hatte in Marokko Kunst studiert (Französisch!) und dann eine Zeit in Spanien gelebt. Ein T-Shirt-Bemaler erzählte, dass es mit dem Englisch-Unterricht hier nicht weit her sei: Gerade mal Grußformeln und ein paar Zahlen. Wer mehr lernen wolle, sei auf teure private Einrichtungen angewiesen. Also freute auch er sich, Englisch quatschen und üben zu können.

Einkaufsmeile in Paraty
Einkaufsmeilchen im neuen Teil Paratys. Hier übernachten genau wie anderswo in Brasilien Obdachlose.

Trotz aller scheinbaren Idylle: Auch Party ist eine Stadt in Brasilien. Jeden Abend legten sich dieselben drei Wohnungslosen vor der Zahnarztpraxis in der Hauptstraße schlafen. Im historischen Zentrum ist das Straßenpflaster für die Nachtruhe wohl zu uneben, und vielleicht werden sie dort auch vertrieben, damit sie nicht den hübschen Gesamteindruck stören.

Der lange Weg zum kurzen Flug

Dass es hier mit den Fahrscheinen für Überlandbusse nicht so einfach ist, erwähnten wir schon. Aber auch Flugtickets sollen Ausländer offenbar möglichst nicht kaufen. Azul, ein lokaler Billigheimer, versteht zwar, dass man als Fremder keine brasilianische Steuernummer haben kann und belästigt einen deshalb beim Buchen nicht damit. Aber beim Bezahlen ist dann Schluss mit lustig: Da spricht die Webseite kein Englisch mehr und besteht auf allen möglichen Daten, die ein Ausländer unmöglich haben kann. Es bleibt nur der Weg über ein Buchungsportal (bei uns Kayak – nie wieder) oder ein Reisebüro.

Kirche am Hafen von Paraty"
Schifffahren ist in Brasilien keine Option, trotz des romantischen Hafens von Paraty.

Letzteres war recht gemütlich: Wir durften der netten Dame am Schalter zehn wortlose Minuten beim Bedienen des Computers zugucken, bis sie erklärte, es gebe gerade kein Internet, also keine Buchung. Anderswo wäre jetzt vielleicht das Telefon ins Spiel gekommen, aber das gilt vermutlich als zu altbacken. Jedenfalls ging das Netz zwanzig Minuten später wieder, und es wurde fröhlich aber bedächtig gebucht. Gedruckte Bestätigungen brauchten dann wieder eine Weile, weil der Toner in dem einen Drucker alle war (auch nicht erst seit eben), und dann ließ sich auf dem noch intakten Gerät nicht so recht drucken, weil das Windows-Netzwerk… Also wurde noch ein IT-Techniker involviert, derweil hinter uns ein Mitarbeiter an den vierflügeligen Deckenpropellern rumbastelte. Im Kopfkino sahen wir schon allerhand Blut durch die Gegend fliegen, falls jemand den Ventilator just jetzt einschalten sollte. Es ging aber glimpflich ab, auch das Drucken klappte schließlich. Allerdings waren wir da schon weggeschickt worden, die Tickets kamen letztlich per Boten ins Hotel. Die Darbietung im Reisebüro dauerte über eine Stunde, für zwei Flüge. Mal schauen, ob wir die nun auch antreten können.

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