Wasserfall menschen hinten brasilien

Bei der größten Dusche der Welt in Iguaçu

8.10.2017

Üblicherweise treiben wir uns vor allem in Brasiliens Städten herum, aber die Wasserfälle von Iguaçu in Brasilien darf man sich nicht entgehen lassen. Wegen der hiesigen Umstandskrämerei bei den Fernbussen (und vor allem wegen deren Langsamkeit) sind wir inzwischen völlig aufs Flugzeug umgestiegen, das uns von Porto Alegre nach Foz do Iguaçú brachte. Billiglinie, trotzdem pünktlich und es gibt selbst bei den Kurzstrecken ein Getränk und Chips oder ähnliches in Tüten. Sehr ok. Das Städtchen in der Nähe der Fälle stellte dann was Hässlichkeit angeht alles bisherige in den Schatten. Tatsächlich gibt es gar keine Stadtplanung, wie uns unsere Wasserfall-Führerin erklärte. Wer ein Grundstück hat, darf darauf bauen wie und was er will. Oder es als Parkplatz betreiben oder eine scheußliche Mauer drumrum bauen oder …

Iguaçu-Wasserfälle von Brasilien aus
Der Blick auf einen Teil der Wasserfällle von Brasilien aus.

Egal, die größten Wasserfälle der Welt haben das dann wieder rausgerissen. Es gibt darauf zwei Perspektiven: eine von Brasilien und eine von Argentinien. Die erste ist sozusagen der Überblick aus der Ferne, die zweite liefert dann die detailgenaue Sicht auf einzelne Tropfen. In Brasilien kann man einfach mit dem Stadtbus zum Nationalpark fahren. Dort gibt es die Eintrittskarten am Automaten, wenn man eine Kreditkarte mit Chip hat. Sehr modern und spart sicherlich eine halbe Stunde Wartezeit an der Kasse.

Diese Zeit bringt man auf jeden Fall in der Schlange für den Bus zu, denn der Eingang des Parks ist etwa 10 Kilometer vom ersten Aussichtspunkt entfernt. Beim Warten sprachen wir kurz mit einer etwa 20-jährigen Deutschen, die mit ihrer paraguayanischen Gastfamilie direkt vor uns stand. Ein Jahr Südamerika, aber nicht etwa Freiwilliges Soziales Jahr, sondern ein Ausflug mit einem „christlichen Missionsdienst“. Das Mädel aus Schwaben wollte hier Gott dienen, denn Jesus Christus könne jedes Leben bereichern. Nun mangelt es in Südamerika an allem Möglichen, aber sicherlich nicht an Kirchen und irgendwelchen religiösen Spinnern. In Brasilien jedenfalls gibt es mindestens so viele Bethäuser wie Drogerien, man könnte sich zwischen zwei Straßenecken mehrmals bekehren lassen.

Gedrängel an der weltgrößten Dusche

Auf der brasilianischen Seite führt ein etwa 1000 Meter langer Betonpfad von einem Aussichtspunkt zum nächsten und kulminiert in einem Steg in den Fluss, auf der man den Fällen besonders nahe ist und gehörig nass werden kann. Der Weg ist keine zwei Meter breit, und selbst in der Nebensaison ist das ein heftiges Geschiebe und Geschubse, vor allem auf dem Steg. Aber mit etwas Geduld bekommt man doch immer wieder viel fallendes Wasser zu sehen.

Und Nasenbären, die hier Quatís und in Argentinien Cuatís heißen. Die Tierchen sind nicht besonders groß und so niedlich, dass fast alle Besucher sie unbedingt füttern wollen. Da sich viele durch die überall angebrachten Verbots- und Warnschilder davon nicht abbringen lassen, leiden inzwischen einige Nasenbären an Diabetes. Außerdem sind die Tierchen nicht blöde und haben gelernt, dass Handtaschen Essbares enthalten können. Weshalb sie gerne mal mit einer auf dem Boden abgestellten abzischen.

Nasenbär im Gras Landender weißer Vogel
Nasenbären leiden inzwischen unter Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, weil die Besucher sie ständig mit Fast Food versorgen. Der landende Vogel hat solche Probleme noch nicht.

Nach Argentinien ließen wir uns von einem Veranstalter bringen, das wäre nicht nur wegen der Grenze auf eigene Faust etwas umständlich geworden. „Drüben“ ging es wesentlich entspannter zu. Dort gibt es mehrere Pfade, auf denen sich die Besucher verteilen, und es waren weniger Leute unterwegs als in Brasilien. Ein Weg verläuft oberhalb der Fälle, wo das Wasser noch ahnungslos vor sich hin fließt. Dort tummelten sich auch Schwärme schwarzer Geier und einige Eisvögel. Auf den mittleren und unteren Wegen kommt man sehr dicht an die eigentlichen Fälle heran. Vor dieser romantischen Kulisse spannten uns einige Besucherpaare ein, sie zu fotografieren.

Kleiner Iguaçu-Wasserfall in Argentinien
So dicht kommt man nur in Argentinien an die Wasserfälle heran.

Ähnlich wie in China gilt der Besuch einer Sehenswürdigkeit oder eines Naturschauspiels hier nichts, wenn man sich nicht in hunderten Posen vor dem Objekt abgelichtet hat (oder hat ablichten lassen). In Brasilien ist es dabei Pflicht, die Zähne wie ein Brauereipferd zu blecken, und zwar geschlechtsunabhängig.

Bei Frauen sieht das dann manchmal so aus, als ob der Schönheitschirurg sich mitten in der OP verabschiedet hätte und die arme Dame nun auf ewig mit einem eingefrorenen Stewardessen-Grinsen aus den 50ern herumlaufen müsste. Die Gesichtszüge renken sich glücklicherweise wieder ein, ist das Bild erstmal geschossen. Selbst die hier noch bis ins Erwachsenenalter verbreiteten Zahnspangen sind kein Grund, den Mund nur zu einem zarten Lächeln zu verziehen – auch die mit Blech verzierten Zähne werden fürs Foto bis in den hintersten Winkel entblößt.

10 Atomkraftwerke auf einmal

Zweitwichtigste Sehenswürdigkeit in der Region ist das Wasserkraftwerk Itaipu. Standesgemäß handelt es sich ebenfalls um das größte der Welt, zumindest was den gelieferten Strom angeht – 14 Gigawatt. Das reicht für 85 Prozent des jährlichen Bedarfs in Paraguay. China betreibt ein nominell leistungsfähigeres, das aber wegen wechselnden Wasserstandes weniger Energie produziert. Der Itaipu-Staudamm steht im Paraná-Fluss, der Grenze zwischen Brasilien und Paraguay, und die beiden Staaten betreiben das Kraftwerk gemeinsam. Nun löst so ein riesiger Betonriegel nicht unbedingt Besichtigungsgelüste aus, und wir hatten ihn zunächst auch gar nicht auf dem Programm. Aber da noch ein Tag in Foz do Iguaçu übrig und in der Stadt nun wirklich nichts anzugucken war … warum nicht mal ein Wasserkraftwerk?

Zuläufe für Wasserkraftwerk Itaipu
Durch diese 12 Meter dicken Rohre fällt das Wasser auf die Turbinen.

Auf unserer „Special Tour“ bekamen wir neben vielen Zahlen und einem 120 Meter tiefen Blick vom Damm das Kontrollzentrum und einen Turbinenschaft gezeigt, alles samt englischer Erklärungen. Die absolute Sauberkeit und Perfektion der Anlage beeindruckte, obwohl eigentlich selbstverständlich. Aber in einem Land, in dem nicht einmal zehn Meter Bürgersteig eben verlaufen, erwartet man vermutlich keinen waagerechten Staudamm und kein properes Kontrollzentrum.

Blick von unten zum Itaipu-Staudamm Turbinenschaft im Itaipu-Kraftwerk
Näher ran ging es nicht: Die Turbinen rotieren nur rund 92 Mal pro Minute. Schneller ist es bei einem Gewicht von 3000 Tonnen pro Stück nicht möglich.

Die Itaipu-Gesellschaft beschäftigt sich nicht nur mit der Stromerzeugung, sondern finanziert auch am brasilianischen Ufer des Stausees ein Ökoreservat. Das wurde seinerzeit durch Aufforstung neu angelegt und besteht aus einem Grünstreifen entlang des Sees, samt Verbindung zu den Wasserfällen. Dadurch sind die Tiere nicht nur auf das relativ kleine Reservat angewiesen, sondern können sich auch im Dschungel um die Wasserfälle vergnügen. Trotzdem ist das Gebiet inzwischen zu klein für die 40 Jaguare, die dort leben.

Die einzigen beiden, die wir sahen, waren zum Glück hinter Glas. Das Reservat bietet nämlich nicht nur einen Lebensraum für wilde Tiere, sondern päppelt auch verletzte wieder auf und züchtet einige bedrohte Arten selbst nach. Zum Beispiel eine Geierart mit einem gelb-roten Kopf. Nicht hübsch, aber sehr ungewöhnlich. Eulen sahen wir auch, sowohl in der Voliere als auch grasend auf der Wiese. Und einen diabetes-blinden Nasenbären samt übergewichtigem Kumpel. Insgesamt ein schöner Tag an einem Ort, den man nicht unbedingt mit schönen Tagen in Verbindung bringen würde.

Inneres des Kraftwerks im Itaipu-Staudamm
Aufgeräumt und klinisch sauber: Das Innere des Staudamms in Itaipu. Unter den roten Deckeln drehen sich die Turbinen.

Privilegien für Alte, Schwangere und Behinderte

Eintrittskarten für Itaipu kauft man relativ einfach im Internet, und zwar auf Wunsch sogar per Ratenzahlung – sechs Teilbeträge, keine Zinsen („sem juros“). Abstottern ist hier weit verbreitet und sogar für das Aufladen von Prepaid-Verträgen möglich. Ob das schon lange existiert oder erst seit dem wirtschaftlichen Einbruch Brasiliens? Manche Geschäfte geben einen Rabatt, wenn man die Rechnung auf einmal („a vista“) bezahlt. Die Hotels haben uns das leider noch nicht angeboten, aber zumindest hätten wir die Flugtickets auch in Raten zahlen können.

Und noch eine brasilianische Spezialität: positive Alten-Diskrimierung. Ab 60 gehört man hier zu den „Idosos“, die in vielen Museen reduzierten oder gar keinen Eintritt zahlen. Läden mit mehr als einer Kasse müssen mindestens eine für Alte, Schwangere und Behinderte reservieren. In Bussen fahren Idosos gratis (zumindest brasilianische mit einem passenden Ausweis), Museen gewähren auch nach Vorzeigen eines abgelaufenen deutschen Ausweises den Nachlass.

Wunderbarerweise darf der Idoso an seiner „caixa preferencial“ auch den Eintritt für den jugendlicheren Gatten kaufen, was die Wartezeiten manchmal sehr verkürzt. Auch beim Einchecken und Einsteigen am Flughafen werden die Alten, Lahmen und Schwangeren bevorzugt behandelt. Fraglich, ob das bei uns funktionieren würde – vermutlich gäbe es ständig Gezeter um den Nachweis von Alter, Schwangerschaft und Behinderung. Das läuft hier dem Augenschein nach alles ganz geschmeidig, am Supermarkt stellen sich wohl nur die Leute an die Spezialkassen, die dürfen. Oder die anderen sehen es entspannt, wenn jemand das ausnutzt.

Ähnliche Beiträge