Blick in den vulkankrater

San Rafael del Sur: Schulen, Wasser, Gesundheit

9.8.2014

Durch ganz Nicaragua zieht sich eine Kette von Vulkanen, die sich im Moment netterweise nicht mit Ausbrechen beschäftigen. Ihre vergangenen Aktivitäten sind an vielen Stellen zu sehen, etwa den erwähnten Inseln im Nicaragua-See. Dazu gehören auch Kraterseen, einer davon mitten in der Hauptstadt. Wir sind auf den Vulkan bei Masaya gefahren und die letzten paar Meter zum Aussichtspunkt gekraxelt. Mit Sandalen durch die Vulkanasche zu stapfen, ist kein uneingeschränktes Vergnügen, aber zur Belohnung gab es einen Superblick.

Vulkan in Nicaragua

Klarerweise musste San Rafael del Sur einer der Höhepunkte sein, schließlich sind wir mit dem Kreuzberger Partnerschaftsverein unterwegs. Die Gemeinde ist riesig, nämlich halb so groß wie Berlin, hat aber nur 42.000 Einwohner. Davon lebt die Hälfte in der eigentlichen Stadt, der Rest verteilt sich auf kleinere Ortschaften. Ebenso verteilt sind die diversen Projekte, die der Verein in den letzten 28 Jahren auf den Weg gebracht hat — alleine 50 Schulen.

Inklusion jetzt auch in San Rafael del Sur

Am ersten Tag durften wir an der Eröffnung eines Inklusionszentrums teilnehmen. Treffen sollen sich dort Kinder, Jugendliche, Behinderte und Alte. Von allen waren auch welche da, ebenso wie Vertreter der Regierung (klar) und der Kirchen (weniger klar). Die Evangelin hatte vergessen, ihr Ritalin zu nehmen und brüllte ständig mit überschnappender Stimme irgendwas von Gott. Hoffentlich ist der schwerhörig. Ihr katholischer Counterpart war im Vergleich geradezu normal. Moderiert wurde das Ganze vom Politsekretär der FSLN. Für die Spanisch-Sprachigen Leser:innen: Bei Youtube gibt es ein Video von der Veranstaltung, allerdings ohne ihre echten Höhepunkte.

Tanzendes Down-Kind bei der Eröffnung des Inklusionszentrums, San Rafael del Sur Jedenfalls produzierte er derart viel revolutionäres Pathos, dass ein anderer Beruf unwahrscheinlich ist. Manchmal ist es eine Gnade, eine Sprache nicht zu verstehen. Das Kulturprogramm bestritten die Leute, die das Zentrum nutzen sollen. Am meisten begeisterten eine Tänzerin mit Down-Syndrom und ein sehr alter Mann, der leider erst ganz zum Schluss auftrat. Gestützt auf seinen Stock füllte er die ganze Halle mit seinem Gesang. Die bis zum Abbröckeln geschminkten kleinen Mädchen mit ihren Tanzdarbietungen — für Mitteleuropäer eher irritierend bis hin zum Gruseln.

Kinder bei der Eröffnung des Inklusionszentrums. San Rafael del Sur

Wasserversorgung, immer wieder Wasserversorgung

Es folgte eine zweitägige Tour durch die anderen Projekte. Eins der wichtigsten dürfte die Wasserversorgung in Masachapa sein. Ursprünglich ausgelegt für 200 Haushalte und einen 24-Stunden-Betrieb, sind jetzt 650 Haushalte angeschlossen. Die aber nur noch zwei Stunden pro Tag Wasser bekommen. Jeder Haushalt zahlt 100 Córdoba pro Monat, im Wesentlichen unabhängig vom Verbrauch. Wasseruhren sind nur bei einigen Kunden installiert. Die Leiter des Unternehmens klagen über die große Kreativität ihrer Landsleute beim Umgehen der Zähler und sogar der Bezahlung überhaupt, denn die Einnahmen reichen nicht für eine benötigte neue Pumpe. Andererseits läuft hier gefühlt jeder mit einem Handy rum, das ihn sicherlich mehr als 100 Córdoba im Monat kostet. Die Wassergebühren lassen sich aber schlecht eintreiben: Wird ein Anschluss gesperrt, besorgt man sich das Nass halt schwarz vom Nachbarn.

Lehrer erklärt einen Zylinder in San Rafael del Sur
Ein Berufsschullehrer erklärt den Zylinder eines Otto-Motors und dessen Krankheiten in der Berufsschule von San Rafael del Sur

Dass Wasserversorgung sein muss, leuchtet auf den ersten Blick ein. Weniger einsichtig ist die Notwendigkeit des ebenfalls von der Städtepartnerschaft unterstützten Fußballstadions: Selbst Anhänger des Sports in unserer Gruppe fragten sich, ob es nicht Dringlicheres zu fördern gebe. Zumal in Nicaragua traditionell eher Baseball gespielt wird. Der Platz jedenfalls wird nicht so recht fertig, weil der Rasen nicht wachsen will. Was angesichts des Klimas nicht verwundert.

Können die Projekte ohne Zuschüsse überleben?

Außerdem haben wir uns noch das Gesundheitszentrum, die Mechanikerausbildung und eine Tagesstätte für behinderte Kinder angesehen. Nach und nach machte sich die Frage Luft, wo das alles hingeht: Reiht sich hier ein vom Ausland gefördertes Projekt an das nächste, und wenn die Förderung ausbleibt, gehen die Projekte ein? Überall weisen Schilder auf die Finanzierung von diesem und jenem durch die EU, Schweden, die Niederlande, Deutschland oder die USA hin. Aber sollte nicht ein eigenständiges Wasserwerk irgendwann in der Lage sein, genügend Geld für zukünftige Investitionen zu erwirtschaften? Kann eine Schule, die Mechaniker ausbildet, sich nicht irgendwie selbst ein Wellblechdach beschaffen? Vielmehr scheint sich eine gewisse Bequemlichkeit breitzumachen, und viele Leute warten einfach nur auf die nächste Spende. So sah der schleimige Vertreter des Erziehungsministeriums schon die Notwendigkeit, den Informatikunterricht auf Weltniveau zu heben. Während allerdings kaum jemand Englisch spricht.

Mole in den Pazifik bei San Rafael del Sur
Unter dieser „Mole“ tritt eine Süßwasserquelle aus, deren Wasser ein Dorf versorgt.

Es gibt auch Gegenbeispiele, etwa das Hotel Los Arcos in Estelí. Gebaut und auf den Weg gebracht von der spanischen Organisation Familias Unidas, steht es inzwischen auf eigenen Füßen und steckt einen Großteil seiner Gewinne in andere Projekte wie Schulen oder Hilfe für Prostituierte. Dass die Spanier sie angesichts klammer Kassen zum Sparen aufforderten, nannte die Chefin „hilfreich“. Sie hatte übrigens als Telefonistin im Hotel angefangen.

Doch der Eindruck einer gewissen Behäbigkeit überwiegt. Das Klima würde es erlauben, alles Mögliche an Obst und Gemüse anzubauen und folglich auch zu verzehren. Doch weiterhin konzentriert man sich auf Reis, Mais, Weißkohl und schwarze Bohnen. Die Folgen der teils einseitigen, teils mangelnden Ernährung lassen sich am Umfang der Menschen erkennen.

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