Kirche mit pestsäule kadan

Per Corona-Umweg nach Kadaň

17.5.2022

Eigentlich sollte es nach Albanien gehen. Dann kam drei Tage vor der Abreise Die Seuche und engelte diesen Plan. Stattdessen also jetzt in die Tschechische Republik, zuerst nach Kadaň an der Ohře. Auf Deutsch heißt der Fluss Eger, genau wie die Stadt an der tschechisch-bayerischen Grenze, die in der Landessprache Cheb genannt wird. Dort liegt auch die Quelle der Ohře.

Am anderen Ende fließt die Eger in die Elbe (und die Ohře in die Labe), in der Nähe von Terezín. Dessen deutscher Name lautet Theresienstadt, nach der österreichischen Kaiserin Maria-Theresia. Bekannt ist der Ort aber nicht wegen ihr, sondern weil die deutschen Faschisten in der dortigen Festung ein Vorzeige-KZ betrieben. Kein Vernichtungslager, sondern eines, in das sie ausländische Delegationen führten um ihnen zu zeigen, wie relativ gut es den Inhaftierten ging. Offiziell hieß es deshalb „Ghetto“ statt Konzentrationslager. Dort waren unter anderem die Komponisten Hans Krása und Viktor Ullmann gefangen, bevor die deutschen Faschisten sie in Auschwitz ermordeten.

Zehn Jahre später zurück in Kadaň

Terezín ist eine ständige Erinnerung an die Rolle, die Deutsche (nicht nur) hier in Nordböhmen spielten, kein Ziel touristischer Neugier. Anders als das einige Kilometer flussaufwärts gelegenen Kadaň. Die Stadt hat sich eine breite Promenade für Fußgänger und Radfahrer an der Ohře gegönnt. Hier verläuft die tschechische Fahrradroute Nummer 6, die mindestens bis nach Cheb führt.

Rad- und Fußweg an der Ohře Radwegbeschriftung
Die tschechische Fernradroute Nr. 6 führt an der Ohře entlang, und in Kadaň haben sie extra einen schönen Weg am Fluss entlang gebaut.

Schon seit Jahrzehnten gönnt sich das Land ein Radwegenetz mit Haupt-, Neben- und Minirouten, durchnummeriert mit einer bis vier Ziffern. So waren wir auch vor zehn Jahren mit dem Rad hierher gekommen und in dem großartig am Fluss gelegenen Hotel Split geblieben. Noch ist Vorsaison, so dass unter der Woche überwiegend ältere Herren in bunten leberwurstengen Klamotten am Hotel vorbeistrampeln. Am Wochenende sind Himmel und Menschen unterwegs, mit Muskel- und Elektrokraft.

Blühende Akeleien an der Ohře Blühende Iris an der Ohře
Links und rechts der Uferpromenade blüht's.

An den Hängen der Promenade zur Stadt hin wachsen Akeleien, die mit Hilfe Mendelscher Gesetze nicht mehr nur in Dunkelblau blühen, sondern hier in Rosa, dort mit weißem Röckchen aufwarten. Auf der Flussseite blühen die gelben Iris, zwischen denen einige Unverdrossene ihre Angeln auswerfen. Trifft man sie auf dem Hinweg in die Stadt, sagen sie „Dobre dén“, und wieder dasselbe, wenn man ihnen einige Stunden später auf dem Rückweg an derselben Stelle begegnet. Gefangen haben sie nichts, aber die Laune ist immer noch gut.

Angler an der Ohře
Geangelt wird viel an der Eger, gefangen eher wenig. Die drei hier hatten auch nur Algen an der Angel.

Überhaupt sagen viele in dem kleinen Ort auch zu Fremden gerne „Dobre dén“. Mit Deutsch oder Englisch kommt man nicht allzu weit, aber mit Zeigen, Mimik und Tschechisch-Bröckchen geht es. „Děkuji“ heißt Danke, „jo“ geht als ja durch, und mit „velmi dobre“ für „sehr gut“ macht man nix falsch. Eis heißt übrigens „zmrzlina“, was sich nach einiger Übung tatsächlich so aussprechen lässt, dass das Gegenüber nicht völlig begossen dasteht.

Blumenkorb an einer Laterne wird vom Wagen aus gegossen Zu sehen im traditionellen Sinne gibt es in Kadaň eher wenig. Um einen hübschen Marktplatz mit Pestsäule stehen perfekt restaurierte Häuser und ein lustiger Rathausturm. Statt Straßenbäumen gönnt man sich Blumenkörbe an Laternen, in rund drei Metern Höhe. Das Gießen übernehmen nicht etwa die Kadaňer aus ihren Wohnungen heraus, wie wir zuerst vermuteten. Sondern die Stadt leistet sich dafür extra einen kleinen Wagen samt 1200-Liter-Tank. Darauf sitzt eine Fachkraft und befördert per Schlauch Wasser in die Pflanzkörbe.

Die örtliche städtische Kunstgalerie hatten wir in zehn Minuten gründlich erkundet. Besichtigungen der beiden lokalen Museen sind nur zur vollen Stunde möglich, im Prinzip. Im Schloss gilt das jedoch nur für Samstage und Sonntage.

Oltore und Bilder für Sv František

Im Franziskanerkloster jedoch sich auch werktags pünktlich die Tür, wenn man ein wenig rüttelt. Ob der fremdsprachigen Besucher erschraken die beiden Damen dahinter so, dass sie die Tür gleich wieder schlossen. Nach einiger Zeit des Beratschlagens traten sie mit zwei zusammengehefteten Papierbündeln heraus: eine ziemlich deutschsprachige Variante des Führungstextes, den wir unter der Leitung einer der beiden Damen Raum für Raum studieren konnten. Fotografieren war verboten – leider, denn das Kloster ist intensiv mit alten Wandbildern dekoriert, von denen etliche die Jahrhunderte erstaunlich gut überstanden haben. Allerdings war der ganze Spaß auch gratis.

Unsere Führerin erläuterte ganz entspannt allerhand auf Tschechisch, und tatsächlich kann man sich dann ja doch vieles zusammenreimen. „Oltor“ heißt hier der „Altar“, der „Sveti František“ ist natürlich Franz von Assisi, und überhaupt gilt für die Heiligen wie für die botanischen Namen von Pflanzen: Latein ist dein Freund.

Durchs Schloss geführt mit Untertiteln

Übrigens ist dieses „Sie kommen hier nur mit Führung rein“ eine sehr tschechische Spezialität. Zumindest in den kleineren Orten ist das überall so, und immer gibt es einen festgelegten Text, den die Führenden abspulen, gerne völlig ohne Betonung. Er ist in der Regel eins zu eins in anderen Sprachen auf Papier verfügbar, wie Untertitel zur runtergeleierten Erläuterung. Richtig toll ist das nicht, aber anders kommt man eben nicht rein in die kleinen Schlösser und Klöster.

Errichtet wurde das Kadaňer Kloster zu Ehren der 14 heiligen Nothelfer. Für eine genauere Lektüre zu diesen Personen reichte die Zeit nicht, aber den Wandbildern zufolge wurden etliche von ihnen auf sehr unangenehme Weise zu ihrem Chef geschickt: Axt mitten in Kopf war noch eine der freundlicheren Behandlungen. Jedenfalls beteten viele, auch in anderen katholischen Gegenden, die 14 sehr intensiv an. Ob sie jedoch überhaupt jemals lebten, ist strittig – geschweige denn, ob sie in der Not helfen.

Ohře mit Ufer und Wolken
Auf dem Weg zwischen Kadaň und Klašterec überquert man zweimal die Eger.

An der Ohře entlang kann man nach Klašterec spazieren, früher „Klösterle an der Eger“. Hin auf der linken Seite des Flusses – da muss man zwar ein paar Mal auf der Straße laufen, kommt dafür aber an der Porzellanfabrik „Thun 1794“ vorbei, die sogar jeden Samstag zum Werksverkauf öffnet. Außer an dem, den wir uns ausgesucht hatten…

Immerhin, das Porzellanmuseum im ehemaligen Schloss von Klašterec war geöffnet, und es gab pünktlich zur vollen Stunde eine „Führung“. Diesmal per Tablet mit deutscher Audiospur. So erfuhren wir, dass die Thuns nicht nur vor 230 Jahren eine Porzellanfabrik gegründet hatten, sondern auch ein paar Jahrhunderte lang Besitzer der Region und des regelmäßig abbrennenden Schlosses waren. Ein Großteil der Stücke im Museum stammte übrigens von einem Sammler, der erst nach Theresienstadt deportiert und dann in Auschwitz ermordet wurde. Er hatte sie dem Museum übergeben, damit sie nicht „Beutekunst“ würden.

Geparkte Räder vor dem Restaurant “U pava”
Klašterec ist vor allem bei Radtouristen beliebt, die halb verhungert in der einzigen gastronomischen Einheit des Ortes einfallen.

Klašterec ist offenbar viel beliebter bei deutschen Ausflüglern als Kadaň: Überall sprach man Deutsch, und wir hätten mit Euro bezahlen können. Was all die Touristen da allerdings machen, bleibt ein Rätsel. Ein Landsmann zumindest stand verloren mitten im Schloss vor der deutschsprachigen Beschreibung und fragte uns, wo er es denn wohl finde und was es überhaupt zu sehen gebe.

Der Rückweg von Klašterec nach Kadaň führte auf der rechten Flussseite auf und ab durch den Wald. Sogar einen „romantischen Ausblick“ gab es, genauso beschildert. Anderswo lag ein vom Biber gefällter Baum, gegenüber ragte gelegentlich felsiges Steilufer. Eigentlich sehr erholsam, aber nach knapp 20 Kilometern schmerzten die Füße und Waden doch etwas.

Von einem Biber gefällter Baum
Biber scheint es an der Ohře zu geben, zumindest fällen sie gelegentlich Bäume.

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