Noerdliche ringroad guangzhou

Schwitzend auf den Plätzen von Guangzhou

8.9.2019

Puh. In Guangzhou, früher Kanton genannt, sollte man beim Wetterbericht auch das Kleingedruckte lesen. 32 Grad im Schatten bedeuten nämlich gefühlte 46 – das kannten wir bislang nur aus Australien und Thailand. Wie dort, bremst das Klima den Tatendrang erheblich und erhöht die Bereitschaft, klimatisierte Räume aufzusuchen. Gut für Museen und Shopping-Center, schlecht für alle Freiluftangebote.

Fähre von Hongkong nach Macau
Mit so einem Schiff ging’s in zwei Stunden von Hongkong nach Guangzhou. Seine speziellen Farben verdankt das Bild der Glasscheibe im Fährterminal.

Um mal was anderes auszuprobieren, nahmen wir von Hongkongdas Boot nach Guangzhou. Wie so oft, wenn es um China geht, waren die Informationen dazu eher spärlich oder falsch. So positioniert Google Maps den Fähranleger mitten im Land. Für den Weg von der Anlegestelle „Lian Hua Shan” zum Hotel in der Innenstadt blieb nur das Prinzip Hoffnung. Immerhin über 40 Kilometer Entfernung…

Augen auf bei der Taxiwahl

Die Hafengesellschaft ignorierte diesbezügliche Fragen per E-Mail, das Hotel mochte keinen Transfer organisieren, und die chinesische Taxi-App DiDi funktioniert nur, wenn man ein Netz hat. Die SIM-Karte dafür lag allerdings im Hotel, das erst noch erreicht werden musste. Blieb also nur das Taxi, wenn man nicht zwei Stunden mit Bus, U-Bahn, U-Bahn, U-Bahn unterwegs sein wollte. Davon warteten einige am Hafen. Unser Wunsch, den Taxameter einzuschalten, stieß auf Heiterkeit. Kein Wunder, es gab gar keinen. Also beglückten wir mit 50€ einen Schwarzfahrer. Der DiDi-Preis wäre weniger als halb so hoch gewesen.

Guangzhou Tower nachts Jetzt also Kanton, das den meisten Reiseführern höchstens ein leises Husten wert ist. Wo die Stadt anfängt und aufhört, lässt sich kaum beurteilen. Das Meer setzt eine natürliche Grenze, aber am Land und zwischen dem Delta des Perlflusses breitet sich eine riesige Agglomeration aus, die mal Ghuangzhou, mal Foshan und mal Shenzhen zu heißen scheint. So ähnlich wie das Ruhrgebiet, nur viel, viel größer und voller. Wie in anderen chinesischen Städten besorgen sich Besucher am Besten zuerst eine Karte für den örtlichen Nahverkehr. In Guangzhou heißt sie Yang Cheng Tong Card. Statt sich den Namen zu merken, sollte man ein Foto von der Karte auf dem Handy am Service-Schalter der U-Bahn zeigen. Dann hat man ruckzuck das Plastikrechteck mit einem kleinen Startguthaben.

Wer es aufladen will, sollte gar nicht erst selbst den Kampf mit den Automaten aufnehmen. Einfach zum Service-Schalter gehen, blöd gucken und “recharge” sagen. Wenn man den blöden Blick lange genug beibehält, kommt irgendwann ein hilfreicher Uniformierter und nimmt den doofen Touristen an die Hand. Unbedingt vorher 100-RMB-Scheine einstecken, sonst wird es nix. Zur Erklärung: Die Texte an den Automaten sind ausschließlich in Mandarin, und bargeldlos könnte man nur per AliPay oder WeChatPay aufladen. Die Ausländern nur mit einem chinesischen Konto zugänglich sind. 100 RMB reichen nach unserer Erfahrung locker für eine Woche Guangzhou aus. U-Bahn-Fahrten kosten je nach Tageszeit und Entfernung zwischen 1,20 und 3,80, der Bus unabhängig von der Entfernung immer 2 RMB.

Nicht ohne Virtual Private Network das Haus verlassen

U-Bahn Rolltreppe Guangzhou Apropos Handy: Wer gerne WhatsApp oder Google-Dienste benutzt, sollte sich unbedingt vor der Reise nach China um ein VPN kümmern. Ohne funktioniert in WhatsApp nur Textempfang und -versand, und Google kann man völlig vergessen. Das ist für Landkarten nicht so tragisch, da gibt es Offline-Angebot wie MapsMe, die in China häufig sogar besser sind. Blöd ist es aber für das Suchen im Internet und für Google Translate, das mit einer Internetverbindung Texte live übersetzen kann. Wer eine Fritzbox als Router einsetzt, kann darauf ein VPN einrichten und im Urlaub nutzen (machen wir so), alternativ gibt es etliche Bezahldienste. Wer chinesisch lesen und schreiben kann, braucht das alles nicht, sondern kann chinesische Such- und Kartendienste wie Baidu verwenden. Oder einfach den nächsten Einwohner fragen.

Fragen können wir zwar auch das eine oder andere. Aber in der Regel dauert es ein paar Schrecksekunden, bis das Gegenüber verstanden hat, dass da gerade jemand seine Sprache gequält hat. Meistens lacht es dann erstmal hemmungslos, weil die Aussprache so lustig ist. Außer im Hotel, da müssen sie höflich sein zum Gast. Aber selbst wenn uns jemand versteht, können wir häufig nichts mit der Antwort anfangen. Allenfalls ein paar Zahlen und eine sehr begrenzte Auswahl anderer Wörter stehen uns zur Verfügung. „Ich habe zwei große Brüder” ist ebenso gelogen wie wenig alltagstauglich, und „Wir wollen keinen Hund essen” kann man auch selten gebrauchen.

Ganz ohne Sprachkenntnisse wird es schwierig

Manchmal klappt es aber doch, wie heute in einer Galerie. Die Dame dort musste nur dreimal “wo hua” sagen, bis wir endlich verstanden, dass sie die Bilder gemalt hatte. „San bai” in 300 zu übersetzen, dauerte dann nicht mehr ganz so lange. Half aber auch nix, denn so schön waren die Bilder nicht. Ganz ohne ein paar Wörter Mandarin wird es in Guangzhou (und vermutlich auch anderswo im Süden Chinas) schwierig. Englisch ist keineswegs Allgemeingut, nur ganz selten trifft man jemanden, der mehr als „hello”, „yes/no” und „bye bye” sagen kann. Falls es also mal jemanden hierher verschlagen sollte: Die kostenlose App „Hello Chinese” ist unbedingt empfehlenswert, um ein paar sinnvolle Brocken zu lernen. Wer ein bisschen Geld zahlt, bekommt zudem einige Spiele in der App, mit denen er Aussprache und Hörverständnis sehr verbessern kann.

Guangzhou Opera House
Zaha Hadids Monster-Oper in Guangzhou bei Tag. Der Flatschen ist schwer auf ein Bild zu bekommen.

Mitten in der Stadt durfte Zaha Hadid vor einigen Jahren ein neues Opernhaus bauen. Wie ja überhaupt viele westliche Architekten in China allerhand bauen dürfen, von dem man manchmal wünschte, es wäre auf dem Reißbrett geblieben. Auch im Fall des Ghuangzhou Opera House. Das sieht aus wie ein unter die Räder gekommener Gummiball, und seine Fassade besticht durch ein beruhigendes Mausgrau. Da der Eingang nicht so einfach zu erkennen ist, stehen überall Wegweiser herum. Google Maps kommt mit dem Gebäude gar nicht klar und platziert es gleich auf der anderen Flussseite.

Angeschaut haben wir das Ballett “An Individual Soliloquy”, vulgo “Ein individuelles Selbstgespräch”. Quasi ein weißer Schimmel, der kann ja auch ganz hübsch sein. Das Stück war sparsam hinsichtlich Musik und Bewegung und hätte angesichts des dargebotenen Tiefsinns auch aus deutschen Landen stammen können. Damit die Zuschauer nicht gänzlich ahnungslos nach Hause gehen, wurden kurz vor Schluss noch ein paar chinesische Sentenzen eingeblendet und eine Dame sprach nach dem Schlussapplaus einige launige Worte, die nicht zu unserem Vokabular passten.

Guangzhou Opera House nachts
Bei Nacht sieht das Opern-Objekt schon fast hübsch aus.

Manche Regeln gelten manchmal für manche

Vor Beginn der Vorführung hatte eine sonore englische Stimme die acht Regeln verlesen, an die sich Besucher zu halten haben. Darunter „kein Essen und keine Getränke mitnehmen” und „kein Einlass für Zuspätkommende”. Haben wir gelacht: Vor uns wurde fleißig gegessen und getrunken (nicht unbedingt leise), und noch 45 Minuten nach Beginn zeigten die Platzanweiserinnen gerade eingetroffenen Zuschauern mitten während der Vorstellung ihre Sitze, damit sie die den Rest nicht verpassen.

Weg-Weiser in Uniform Allerdings werden nicht alle Regeln hierzulande ignoriert. In der U-Bahn fährt immer eine oder ein UniformierteR mit und passt auf, dass alles gesittet zugeht. So musste ein sitzender Fahrgast seine nackten Füße wieder in die Sandalen stecken. Vielleicht könnten diese Aufpasser mal ein, zwei Sonderschichten in der Oper einlegen, bitte? Und vorher allen Leuten in der U-Bahn den Ton abdrehen, die Filmchen gucken oder brüllend telefonieren. Aber das wird wohl kaum passieren, denn Lärm ist hier Ausdruck von Wohlbefinden. Oder er stört niemanden. Oder niemand traut sich zu sagen, dass er stört.

Essenspause in der U Bahnjpg
Essen in der U-Bahnstation scheint ok zu sein, wenn auch etwas unbequem

Kunst haben wir in Guangzhou auch gefunden, und zwar ganz besonders künstlerische. Es läuft gerade der lokale Beitrag zur 13. Chinesischen Kunstausstellung, bestehend aus Comics, Animationen und „Comprehensive Painting”. Die ersten beiden sind klar, und nach dem, was wir gesehen haben, ist das letzte sowas wie sozialistischer Realismus für Arme. Hätten wir die Erklärung zur Ausstellung gleich am Anfang gelesen, hätten wir uns viel Zeit sparen können.

Der Generalsekretär hat Ahnung von allem

Denn dort war zu erfahren, dass die Künstler seit der bahnbrechenden Rede des Genossen Xi Jinping vor fünf Jahren einen riesigen Schritt nach vorne gemacht haben. Indem sie sich von seinen wegweisenden Ideen und Worten inspirieren ließen, kamen sie den Wurzeln des Volkes noch näher und verstehen es noch besser, dessen Ideen und die des Großen Führers Xi Jinping auszudrücken. Ähnliches könnte man schon mal mit „Erich Honecker” oder „Leonid Breshnew” anstelle von „Xi Jinping” gehört haben, das Gemalte und Gezeichnete jedenfalls sah häufig aus wie sozialistischer Realismus in den 60er Jahren in der Sowjetunion.

Arbeiter bei der Arbeit, Gemälde
Eins der Gemälde, die nach der wegweisenden Rede von Xi Jinping vor fünf Jahren in intensiver Diskussion mit den Werktätigen entstanden.

Die Idee, ein Staatschef könne irgendetwas Wegweisendes über Kunst zu sagen haben, ist nur ein Indiz dafür, dass China immer noch ein sozialistisches Land ist. Ein anderes sind die breiten Straßen und weiten Plätze mitten in der Innenstadt von Guangzhou, in der Nähe der Oper. Ganz offensichtlich stehen hier nicht die Verwertungsinteressen von Immobilienspekulanten im Vordergrund, sondern das Bedürfnis des Staates, sich möglichst großartig zu zeigen. Dabei entstehen dann durchaus für viele Leute nützliche Projekte wie Sportanlagen und eine ewig lange Promenade am Perlfluss.

Guangzhou Zentrum
Platz ohne Ende mitten in Guangzhou. Links nicht zu sehen ist die Oper.

An diesem Fluss haben wir Quartier genommen, auf der Insel Shamian. Sie gehörte früher, in Folge der Opiumkriege, zu vier Fünfteln den Briten und zum Rest den Franzosen. Sie haben das Stück Land damals mit klassizistischen Bauten und baumbestandenen Straßen bestückt, die heute noch existieren. Eine sehr romantische Ecke, im Moment allerdings von Bauarbeiten so belastet, dass man sie nicht so recht genießen kann. Restaurants gibt es hier, auch wenn Google nichts davon weiß, an jeder zweiten Ecke, und wir haben zum Abschied in einem richtig schicken Laden gespeist, der sogar schon Besuch von Michelin hatte (aber keinen Stern abbekommen hat).

Haus in Shamian
Auf Shamian stehen solche klassizistischen Bauten aus der Zeit nach den Opium-Kriegen dicht an dicht.

Schick hin oder her, mit Englisch war da nichts. Weshalb wir gar nicht verstanden, dass wir immer wieder die Teekarte unter die Nase gehalten bekamen – wir wollten zwei Bier trinken. Eine der Kellnerinnen zeigte dann schließlich auf ihrem Handy die englische Erklärung: Wir müssten jeder für 25 RMB Tee bestellen. Quasi das Gedeck.

Also orderten wir Chrysanthementee, dessen Zubereitung alleine schon ein Ereignis war: Aufgießen, weggießen, aufgießen, warten, Tassen füllen. Tässchen, besser gesagt, denn da passen gerade zwei Schlucke rein. Ist so ein Gefäß leer, wird es stantepede von Kellner oder Kellnerin aufgefüllt. Bier bekamen wir auch, mussten es aber nicht bezahlen.

Shrimp in Curry Soße
Shrimps mit Stäbchen zu essen, ist für Könner ein Leichtes. Für uns nicht so.

An Werkzeug stehen hier fast nur Stäbchen zur Verfügung. Was bei den meisten Gerichten ok ist, heute morgen aß jemand sogar ein Brötchen damit. Zu unserem Vergnügen. Neulich hatten wir dummerweise Shrimps bestellt, die dann samt Schale in einer dicken Soße schwimmend auf dem Tisch standen. Die Tierchen aus ihrem Panzer zu lösen und zu verspeisen, war eine echte Herausforderung. Wir haben aber niemanden lachen sehen.

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