Shkodër fußgängerzone

Mit Mortadella und Hörnchen nach Shkodër

3.9.2023

Zwei Tage – länger braucht man nicht von Berlin bis Albanien. Es ginge auch schneller, nähme man einen Nachtzug. Aber dann brächte man sich um das Vergnügen, in Bologna das Abendessen einzunehmen und beim Spaziergang durch die Altstadt ein überbordendes Angebot an Tomatensorten zu betrachten.

Tomatenauswahl in Gemüseladen, Bologna
In Bologna zeigen sie den an Holländisches gewöhnten Besuchern, dass Tomate auch anders geht.

Bis in die norditalienische Mortadella-Metropole dauert es mit DB und ÖBB rund zwölf Stunden von Berlin. Am nächsten Mittag ruckelt der italienische Freccia Rossa nach Bari, wo kurz vor Mitternacht die Fähre nach Durrës abdampft. Bevor man jedoch an Bord darf, muss man das ausgedruckte elektronische Ticket umtauschen, gegen ein ausgedrucktes analoges. Zu diesem Zweck steht ein Shuttle bereit, gesteuert von einem gescheiterten Formel-1-Fahrer, das die elektronisch-tickettierten Fahrgäste gute zwei Kilometer zu einem Behelfsbau bringt. Dort geschieht die wundersame Verwandlung von Papier in Papier, der Rennfahrer shuttelt zurück, und tatsächlich darf man dann die Fähre betreten.

Fähre von Bari nach Durrës am Anleger in Bari
Sieht außen schick aus, hält aber innen nicht ganz mit: die Fähre von Bari nach Albanien.

Die ist ähnlich unglamourös wie ein österreichischer Nachtzug: Mangels Fahrgastbrücke stapfen die Fußgänger durch den Gestank der Last- und anderen Wagen im Frachtraum mühsam nach oben (nix Aufzug), wo schick livrierte Jungs den Weg zur „Reception“ weisen. Ausweis gegen Kabinenschlüssel tauschen und hoffen, dass der wirklich noch was schließt – diese Tür ist schon mindestens einmal aufgebrochen worden.

Essen auf der Fähre von Bari nach Durrës
Es muss ja nicht immer Food-Porn sein: Adria Ferries verwöhnt seine Gäste mit italienischen und internationalen Spezialitäten.

Versprochen hatte die Reederei ein „À-la-carte-Restaurant“, das aber wegen ist nicht ausfiel. Stattdessen „italian and international specialities“ in der Selbstbedienungs-Cafete. Selbst kurz nach Öffnung fröstelten die Speisen schon, wären warm aber nur unwesentlich leckerer gewesen. „Spartanisch“ ist noch geschmeichelt, aber preislich lag das Angebot recht weit vorn. Trotz Self Service lungerten rund zehn wiederum livrierte Jungs aus aller Damen Ländern herum und balgten sich um das Recht, die halb leer gegessenen Teller abräumen zu dürfen – zur Not auch gegen den Willen der Gäste. Sehr nett alles, aber vielleicht könnte man sich diesen Aufwand sparen und die Knaben zu Köchen umschulen? Schaden könnte das auch dem Essen nicht.

Morgens wirft eine Damenstimme die Gäste in fünf Sprachen aus dem Bett und weist auf das kulinarische Angebot hin, das nun aus klebrigen Cornetti und mehr oder weniger italienischem Caffè besteht. Kurz danach rumpelt das Schiff an den Kai, wir wöltern unser Gepäck die Treppen wieder herunter und stehen in Durrës auf albanischem Boden. Der fühlt sich auch nicht anders an als jeder andere, aber zumindest ist das Hafengebäude schick und funktional, man bekommt einen Kaffee für Euro (der örtliche Geldautomat spuckt mangels Strom keine örtliche Währung aus) und kann in Ruhe auf den Herrn des Mietwagens warten.

In Blei gegossenes „öh“

Falls sich jemand fragt, was die ¨ über dem ë in Durrës und Shkodër (und sogar Tiranë) bedeuten: Das ist die albanische Variante des türkischen ı und des bulgarischen ъ. Ein dumpfes „e“ oder „ö“, das albanische ë wird am Wortende meistens gar nicht gesprochen. Im Deutschen gibt es diesen Laut bestenfalls inoffiziell, etwa am Ende von „Kirche“ oder „eben“ in Berlin.

Auch bei vielen Wörtern hat sich Albanisch anderswo bedient. Die gerollten „byrek“ kennt man mit ö aus dem Türkischen, „te lexon“ heißt „lesen“, „lavazh“ ist die Wäsche und „birra“ dürfte klar sein. Wie man diese Wörter aber sinnvoll zusammensetzt, bleibt geheimnisvoll. Bestimmte Artikel kommen ans Wortende, unbestimmte davor, und einzelne „e“ und „i“ spielen eine wichtige Rolle. Welche auch immer.

Wenn die Straßen Tempo herausnehmen

Groß ist das Land nicht, und auch nicht dicht besiedelt – gerade einmal 2,8 Millionen Leute wohnen hier, etwa so viele wie früher in West-Berlin. Von der Hafenstadt Durrës nach Shkodër im Nordwesten sind es 107 Kilometer. Und die dauern länger als „1h14m“, wie das Navi veranschlagte. Viel länger. Ein klitzekleiner Unfall, und schon schleicht es kilometerlang auf der Autobahn, die alles andere ist als das: eine Spur pro Richtung, kein Standstreifen, und durchaus todesmutige Radfahrer im Gegenverkehr. So bleibt genügend Zeit zum Betrachten der Landschaft und für allgemeine Überlegungen zur resteuropäischen Rastlosigkeit und Hast.

Auf dem Weg nach Shkodër kommt man fast an Kruje vorbei, das als einzige Stadt Nordalbaniens in unserer Landkarte mit einer roten Markierung für „sehenswert“ versehen ist. Offenbar hat sich die Karte gut verkauft, denn das Örtchen läuft förmlich über vor Reisegruppen, die sich die fast original erhaltene Burg und den „Bazar“ auf dem Weg dorthin anschauen wollen.

Blick auf die Burg von Kruje
Als kultureller Höhepunkt Nordalbaniens gilt die Burg von Kruje. An der ist nix original, aber das stört die Touristengruppen wenig.

Die Burg wurde offenbar zum größten Teil ganz neu wiedererrichtet, und der Bazar bietet den üblichen Touristen-Tinneff, den man überall auf der Welt findet – nur eben auf albanisch. Einzige Ausnahme sind ein paar Antiquitätenshops, die Paraphernalia aus kommunistischer Zeit vorhalten – einschließlich eines deutschsprachigen, schwarz-weißen Bildbandes über die kulturellen und geschichtlichen Höhepunkte des Ortes. Auch die gesammelten Werke des verblichenen KP-Chefs Enver Hoxha hätten wir kaufen können, allerdings nur in der Originalfassung.

Disneyland-Burgen und echte

In Shkodër steht auch eine Burg, gänzlich original, also ruinös. Der Fußweg vom Stadtzentrum dauert knapp eine Stunde, und mangels roter Landkartenmarkierung machen sich nicht so viele Leute dorthin auf. Geboten wird vor allem Aussicht, und eben Ruinen – von Zisternen, Gebäuden und einer Kirche. Auch ein Museum wurde hier eingerichtet, das in zwei kleinen Räumen die albanische Geschichte von der Jungsteinzeit bis zur Unabhängigkeit 1912 darstellt. Immerhin sind die knappen Texte leidlich ins Englische übersetzt, und Bronzeäxte sehen ohnehin fast überall gleich aus.

Burg von Shkodër von unten
Die Burg von Shkodër ist weitgehend im Originalzustand belassen, also recht ruinös. Von der Stadt braucht man eine gute Stunde zu Fuß, weshalb sich der Andrang in Grenzen hält.

Hauptattraktion der Stadt ist ihre Fußgängerzone, in der fast jederzeit das Leben tobt. Die Kole Idromeneo ist vielleicht 1,5 Kilometer lang, gesäumt von herausgeputzten zweistöckigen Barockhäusern. Das erinnert eher an Österreich, obwohl es hier nie direkten Einfluss hatte. In fast jedem Haus steckt ein Café oder Restaurant, dazwischen Shops für Handy-Hüllen, Unterwäsche und Klamotten sowie einige wenige Souvenirläden. Keine nervigen Autos, fast keine Mopeds, selbst Fahrräder schaffen es kaum durch die Fußgängermassen.

Fußgängerzone von Shkodër mit Plastikbäumen
In der Fußgängerzone von Shkodër muss es hübsch sein und grün. Zur Not helfen Plastikbäumchen wie diese hier.

Das ist, denkt man an den Rest der Welt, nichts Außergewöhnliches. Aber quirliges Leben in einer rausgeputzten Stadt hätten zumindest wir in Albanien nicht erwartet. Ebenso wenig wie die zahlreichen kleinen Grünanlagen, in denen sich Cafés angesiedelt haben. Die Vorurteile über das Land, das früher außer Bunkern und Erdbeeren in Dosen nichts herstellte, sind hartnäckig. Ebenso wie der wenig schmeichelhafte Ruf, geschuldet den Hütchenspielern Anfang der 90er-Jahre.

Schade um die schönen Vorurteile

Da passt es super ins Bild, wenn die junge Dame uns beim Abholen der gereinigten Wäsche fragt, ob man uns eigentlich schon einen Preis genannt habe. Hatte man. Der allerdings, sagte sie, sei nun doch zu hoch – das Paket habe anfangs größer ausgesehen als es war. Deshalb zahlten wir fünf statt der vereinbarten sieben Euro. Soviel zum Ruf des Landes und seiner Bewohner.

Übrigens sprach sie Deutsch, wie einige hier. Nicht, weil sie in Deutschland gearbeitet hätte, sondern weil sie eine technische Fachschule in der Nähe von Shkodër besucht. Betrieben wird die von Österreich, und der gesamte Unterricht findet auf Deutsch statt.

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