Pyramide tirana

Der Wille zu Schönheit und Wohlbefinden

11.9.2023

Mit Shkodër waren wir noch nicht fertig, denn dort gab es noch das Fotografie-Museum zu besichtigen. Es zeigt den Nachlass der Familie Marubi, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in der Stadt ein Fotostudio betrieb und über die Jahre fast eine halbe Million Negative erstellte. Etwas Ähnliches findet sich im tschechischen Česky Krumlov. Aber dort war es nur der eine Fotograf Josef Seidel, der jeden Aspekt des Alltagslebens über rund 50 Jahre dokumentierte.

In Shkodër reichen die Bilder von den Anfängen der Fotografie bis in die 1960er Jahre, als das Studio in einem Kollektiv aufging. Aus dieser Zeit zeigt das Museum kaum Fotos, die meisten Exponate finden sich aus den Anfangsjahren der albanischen Republik und des Königreichs.

Drei bärtige Männer, Foto vom Anfang des 20. Jahrhunders Zwei bärtige Männer, Foto vom Anfang des 20. Jahrhunders
Auslandende Schnurrbärte waren offenbar für albanische Männer Pflicht Anfang des 20. Jahrhunderts. Vielleicht der osmanische Einfluss? Heute jedenfalls tragen sie vorzugsweise Vollbärte.

Auch ein Stadtmuseum gönnt sich Shkodër, das man allerdings schnell erkundet hat: zwei Räume im Erdgeschoss und einer in der ersten Etage handeln, wie schon das Burgmuseum, die Geschichte von der Jungsteinzeit bis zur Unabhängigkeit ab. Was nur im Zeitraffer möglich ist, sodass dem ausländischen Besucher die Details der Stadt- und Landesgeschichte unklar bleiben.

Büste eines Mannes, 6.-5. Jahrhundert vuZ Innenraum Stadtmuseum ShkodërIm Stadtmuseum von Shkodër gibt es zwar allerhand zu sehen, etwa die Steinbüste oben aus dem 6. bis 5. Jahrhundert v.u.Z. Aber bei der Präsentation ist noch Luft nach oben.

Wesentlich bekannter und beworbener ist die Ausstellung zur kommunistischen Diktatur und Folter. So ähnlich der offizielle Titel. Die von der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung kofinanzierte Schau beschäftigt sich mit der Verfolgung vor allem der katholischen Kirche und ihrer Funktionäre unter der gut 40jährigen Herrschaft der albanischen KP.

1967 erklärte die Partei Albanien zur ersten atheistischen Republik der Welt, was ja eher sympathisch ist. Allerdings wurden in der Folge viele Priester, Imame und Popen zu langen Haftstrafen verurteilt und etliche sogar hingerichtet. Das zeigt das Museum zurecht in aller Ausführlichkeit.

Die Täter von damals wollen heute Opfer sein

Die von deutlich mehr Vierteilungen, Pfählungen, Verbrennungen, Räderungen und Ertränkungen geprägte Geschichte der katholischen Kirche, in der das Beseitigen von Un- und Andersgläubigen immer eine zentrale Rolle spielte, kommt jedoch gar nicht zur Sprache.

Ebenso fehlt eine Reflektion über das jahrhundertlange Unterstützen des albanischen „Kanun“ mit seiner Blutrache, die zahlreiche Familien dezimierte. Der „Heilige Stuhl“ will hier nur Opfer sein, und wie beim Missbrauch spart er sich die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Was die Verfolgung Gläubiger durch die albanischen Behörden nicht besser macht.

Zurzeit schlagen sich die Katholiken, Orthodoxen und Muslime in Albanien jedenfalls die Köpfe nicht ein, und auch früher haben sie das nicht getan. Im Stadtzentrum Shkodërs hat jede der Gruppen ihr eigenes sakrales Bauwerk, nur wenige Meter voneinander entfernt.

Kaum ruft der Muezzin zum Abendgebet, beginnt die orthodoxe Kirche mit einem unmotivierten Glockenspiel – keine runde Uhrzeit, keine Messe. Aber es bimmelt schön, und auch der Muezzin singt Melodischeres als aus der Türkei bekannt.

Zwei Kirchen und eine Moschee im Stadtzentrum von Shkodër
In Shkodër stehen eine orthodoxe Kirche (ganz links), eine Moschee und eine katholische Kirche (rechts vom linken Minarett) im Zentrum dicht beieinander.

Das liegt vielleicht daran, dass in Albanien gut 20 Prozent der Muslime der Untergruppe der Bektashi angehören. Sie sind bei Alkohol und allerhand anderem entspannter als andere Richtungen des Islam – schließlich kann Allah den ungehorsamen Gläubigen noch eine ganze Ewigkeit lang zur Rechenschaft ziehen. Vielleicht singen sie auch schöner.

Ob Deutsche schön singen? Wer weiß. Zumindest haben sie für vieles andere in Albanien augenscheinlich einen sehr guten Ruf. So verkaufte ein Laden „German Computer“ (im Geschäft stand unter anderem ein Apple-Rechner), es gab „Moda Gjerman“ und „German Auto Servis“ – eine Biermarke warb gar mit „deutschem Geschmack”.

Radweg mit einer Spur je Richtung in Tirana Deutsche Autobahnen haben noch nicht so viele Anhänger, weshalb die gut 100 Kilometer von Shkodër nach Tirana dann doch wieder zwei Stunden dauerten, unter anderem wegen der Darbietung eines Unfalls. In einer knappen Woche haben wir hier drei davon gesehen, bei einem traf der Fahrer eine Laterne auf der anderen Seite der geraden Straße mittig. Muss man erstmal schaffen. Angesichts des Fahrverhaltens (das Wort „Fahrstil“ verbietet sich) vieler Motoristen erstaunt diese Unfallhäufigkeit nicht: zu schnell, zu dicht, überholen vor Kurven und Bergen… 107 Tote pro 100.000 Motorfahrzeuge pro Jahr, in Deutschland sind es 6,4.

Auf der anderen Seite steht eine große Begeisterung für das Fahrrad. Sowohl in Shkodër als auch in Tirana juckeln viele Leute ganz entspannt auf den Zweirädern durch den Verkehr, gerne auch auf den inneren Spuren der ubiquitären Kreisverkehre. Behindert die Autos? Macht nix! Es hupt auch niemand. In Tirana führen, die Prachtstraßen sind ja breit genug, manchmal auf beiden Seiten der Straße Radwege in beide Richtungen.

Parkplätze weg, Radwege her – wenigstens in Albanien

Anders als Berlins Chefverwalter Wegner hat der Bürgermeister von Shkodër auch keine Skrupel, dem Radverkehr Parkplätze zu opfern. Da sich die Autofahrer, genau wie in Berlin, ohnehin nicht an Park-Ge- und Verbote halten, kann man ihnen den Platz ganz wegnehmen.

Und dann ist da noch (auch anders als zuhause) der Wille zu Schönheit und Wohlbefinden. Hört sich komisch an? Aber wie sonst soll es heißen, wenn überall kleine Parks mit Bänken zu Pausen einladen, Restaurants ihre Eingänge mit Pergolen verhübschen, große leere Plätze regelmäßig mit Kultur belebt werden, Erker an Hochhäusern die Berge Albaniens darstellen, Fischrestaurants ihre Gäste in hölzernen Stelzenhäusern im Wasser verköstigen?

4 Ever Green Tower, Tirana Bei uns herrscht sicherlich noch die Vorstellung von Tirana als grauer, deprimierender, sozialistischer Betonwüste. Ganz falsch. Auch, weil schon 1956 die schröcklichen Kommunisten ausgerechnet hatten, jeder Albaner brauche acht Quadratmeter Park. Der Kalkulation folgten Taten, sodass es heute in Tirana Parks und Seen gibt. Das Leben tobt, wobei ein Großteil des Tobens von Touristen stammt. Die TiranerInnen gehen aus wie Leute anderswo auch. Es wird gebaut, was das Zeug hält, und zwar phantasievoll, originell und sehenswert. Ein Beispiel dafür ist der nebenstehende „4 ever green tower“ eines italienischen Architekturbüros, trotz des dämlichen Namens. Wer gute aktuelle Architektur sehen will, sollte einen Blick hierher werfen. Allerdings geht es mit dem Bauen hier, wie anderswo, nicht übermäßig schnell voran: Viele der interessanten Neubauten sind noch nicht fertig.

Auch einige alte, vorsozialistische Bauwerke sind gelungen und noch vorhanden. So haben Italiener in den 1930er-Jahren entlang einer breiten Allee etliche Ministerien errichtet, die immer noch ansehnlich aussehen. Etwas weiter im Hintergrund steht das Ministerium für Stadtentwicklung (oder ein anderes, das Internet ist sich nicht einig), das irgendjemand angemalt hat wie einen venezianischen Rokoko-Palast. Oder wie eine überdimensionale Bonbonschachtel, man weiß nicht so recht. Gelegentlich stolpert man auch über Art-Deco-Häuser oder welche im Bauhaus-Stil.

Ministerium in Tirana
Ministerium mit nicht ganz klarem Aufgabenbereich, aber sehr deutlichem Gestaltungswillen. Davor der Ausgang der Bunk-Art-2-Ausstellung.

Hochhaus mit Grundriss Albaniens in Form von Erkern
Die Erker modellieren den Grundriss Albaniens
Zu sehen bekommt man das alles auf einem Spaziergang durch die überschaubar große Innenstadt Tiranas. Erklärt bekommt man es während einer Free Walking Tour, deren Führerin 3000 Jahre albanische Geschichte erfolgreich auf acht Minuten eindampfte. Ihr zufolge sind die Albaner deshalb so begeisterte Vollbartträger, weil die Kommunisten Bärte verboten hatten. Quasi eine nachgeholte antiautoritäre Geste. Oder ein urbaner Mythos. Aber Vollbärte oder -bärtchen oder wenigsten Rundum-Flaum, das muss schon sein.

Und was gibt es überhaupt anzugucken in Tirana? Nicht so leicht zu sagen. Das nationale Kunstmuseum ist wegen Bauarbeiten geschlossen. Als „unbedingt besichtigen“ preisen Reise- und Stadtführer die Bunk-Art-Ausstellungen (die ältere Nr. 1 am Standrand und die neuere, zweite in der City) an, ebenso das Nationale Geschichtsmuseum. Bunk-Art 2 entließ uns mit der Frage „wen soll das interessieren“: Thema der Ausstellung war die Entwicklung der albanischen Polizei von den Anfängen 1900+x bis zur Zeit Enver Hoxhas. Angekündigt war vor allem eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Landes, insbesondere zur sozialistischen Zeit. Das hat nicht geklappt.

Aufgebaut ist das Ganze im ehemaligen Bunker des Innenministeriums. Es gab in Albanien ab Anfang der 70er Jahre eine gewissen Begeisterung für das Bauen solcher Schutzräume. Die meisten der rund 170.000 errichteten Betonklötze waren für zwei Soldaten gedacht, die ihr Land in zwei Richtungen verteidigen konnten. Drei dieser Bunker standen jeweils zusammen, sodass Feinde aus jeder Richtung abgewehrt werden konnten. Es kamen bloß keine – was Hoxha und Kollegen vermutlich den abschreckenden Bunkern zugeschrieben hätten.

Im Geschichtsmuseum schräg gegenüber von Bunk-Art 2 greift man noch ein bisschen weiter zurück, bis zur Jungsteinzeit. Schade nur, dass dann in der dritten Etage, als endlich die Neuzeit anfing, das Englisch ausgegangen war. Im Mutter-Theresa-Gedächtnis-und-Verehrungs-Saal wäre das ja noch wurscht, denn die Dame erkennt man auch ohne Untertitel. Aber in den Räumen zur albanischen Unabhängigkeitsbewegung und zum antifaschistischen Kampf gegen die italienischen Besatzer wäre ein bisschen touristenkompatibler Text schön gewesen.

Mitgefahren wird bis zum Schluss

Rausgerissen hat es dann Bunk-Art-1. Dahin kommt man mit einem Bus, dessen Nummer hier jede und jeder kennt und sofort verrät. Er fährt hinter der Oper ab, und Touristen dürfen erst bei der Ausstellung wieder aussteigen – der Schaffner passt da genau auf, schließlich weiß er, wo die Leute hinwollen. Sogar, wenn sie es nicht gesagt haben.

Bunk-Art-1 ist im ehemaligen Regierungsbunker eingerichtet, fünf Kilometer außerhalb des Stadtzentrums in einen Berg gegraben. Der Eingang befindet sich in der obersten Etage, von dort läuft man fünf Stockwerke runter bis zum Ausgang. Zum Glück waren nicht so viele Besucher dort, sodass keine Platzangst aufkommen konnte. Und hier gibt es wirklich Informationen zur albanischen Geschichte seit circa 1907: Erklärung der Unabhängigkeit 1912, neue Grenzen 1913 auf Beschluss der Botschafter der Westmächte, die zudem den Prinzen zu Wied zum König machten. So war ein Deutscher ein paar Jahre lang Herrscher von Albanien. Diese Zeit beschreibt Ismael Kadare in seinem Büchlein Das verflixte Jahr mit seiner üblichen Ironie.

Das “Luxuszimmer” Enver Hoxhas im Regierungsbunker Tirana
So sah der Luxusraum für Enver Hoxha im Regierungsbunker aus. Der einzige mit Teppichboden und einer merkwürdigen Wandverkleidung im gesamten Komplex.

Wied verdrückt sich kurz danach bei Beginn des Ersten Weltkriegs, Albanien wird eine Republik, deren Ministerpräsident erklärt sich ein paar Jahre später zum König und das Land zur konstitutionellen Monarchie. 1939 fallen die italienischen Faschisten ein. Zwar erwartet, aber das albanische Militär wehrte sich außer in Durrës nicht – schließlich waren seine Ausbilder alle Italiener gewesen. Die blieben bis 1943, als Mussolini abgesetzt wurde. Es kamen die deutschen Faschisten, die bei einigen Albanern deutlich beliebter waren als die italienischen, denn sie wollten nicht bleiben. 1944 gingen sie denn auch, im Süden des Landes fielen die Griechen ein, im Rest die Alliierten und überall versuchten die Partisanen, die Macht zu übernehmen. Auch dazu gibt es mit „Chronik in Stein“ ein Buch von Kadare, das diese Zeit aus der Sicht eines Jungen beschreibt. Er selbst und Hoxha kommen übrigens aus derselben Stadt, Gjirokastra, die auch im Zentrum des Buchs steht.

Der Bunker hatte auch „Luxuszimmer“ für Enver Hoxha. Was man halt so für Luxus hielt in einem armen Land in den 1970er-Jahren: Dünner Teppichboden, scheußliche braun-in-braun Schrankwand, Sitzmöbel mit Brechreiz-Muster. Nichtmal vergoldete Wasserhähne hatte der Diktator…

Blick aus der Seilbahn Dajti-Ekspres
Im Dajti-Ekspres geht es auf 1100m Höhe, wo der versprochene Panorama-Blick wegen Dunst ausfällt.

Direkt neben Bunk-Art-1 liegt die Talstation des „Dajti-Ekspres“. Diese Seilbahn fährt rund 15 Minuten lang nicht mal langsam auf 1100 Meter Höhe, wobei sie zwei kleinere Berge und einen See überquert. Besucher bekommen „den schönsten Panoramablick auf Tirana“ versprochen. Vielleicht früh morgens, wenn noch keine Autos fahren – wir hatten Tirana im Dunst, aber trotzdem war’s ein schöner Ausflug.

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